Süddeutsche Zeitung

Gertrud-Eysoldt-Preis:Anarchische Energie

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Die Schauspielerin Lina Beckmann bekommt für ihren Richard den Gertrud-Eysoldt-Ring. In der Jury saß auch ihre Regisseurin. Der Preis ist trotzdem hoch verdient.

Von Christine Dössel

Die sehr tolle Schauspielerin Lina Beckmann, Ensemblemitglied am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, erhält derzeit eine Würdigung nach der anderen. Und womit? Mit Recht. Für ihre exorbitante Performance als Richard in "Richard the Kid & the King" nach William Shakespeare, herausgekommen bei den Salzburger Festspielen, wurde die 40-Jährige erst vor Kurzem in Wien mit dem Nestroypreis in der Kategorie "beste Schauspielerin" geehrt. Im Hamburger Schauspielhaus bekommt sie für ihr Spiel regelmäßig Standing Ovations, und die ARD-Kultursendung "TTT - Titel Thesen Temperamente" bejubelte sie in einem Beitrag als "Alleskönnerin". Nun kommt der renommierte Gertrud-Eysoldt-Ring noch hinzu. Die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung wird seit 1986 jährlich von der Stadt Bensheim gemeinsam mit der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste für eine herausragende schauspielerische Leistung verliehen.

Die Jury würdigt Lina Beckmann als "große Theaterpersönlichkeit unserer Zeit" und hebt insbesondere die "anarchische Energie" ihres Richards hervor: "In atemberaubenden vier Stunden entwickelt sie das wahnwitzige Psychogramm einer Figur, die fähig ist, jegliche moralischen Grenzen zu überschreiten. Lina Beckmann tut dies, indem sie sich selber körperlich und emotional verausgabt mit einer irren Schonungslosigkeit und einer einzigartigen Intensität ..." Alles richtig und preisenswert. Dass jedoch in der Jury neben dem Regisseur Jossi Wieler und dem Schauspieler André Jung als Dritte im Bunde auch die Regisseurin Karin Henkel mitvotierte, hat ein Geschmäckle. Denn Karin Henkel hat "Richard the Kid & the King" inszeniert. Was in jedem anderen Bereich ein No-Go ist, sollte auch für Theaterpreise gelten: dass man nicht über seine eigenen Sachen befindet. Und Jurys dann eben anders besetzt.

Der Jury-Vorsitzende Jossi Wieler sagt auf Nachfrage der SZ, sie seien sich dieses Problems bewusst gewesen. Aber: "Qualität schlägt alles." Lina Beckmanns Leistung sei "so überragend und so beispiellos", dass er und André Jung "vollkommen davon überzeugt" waren. Karin Henkel sei bei der Jury-Abstimmung "quasi in den Ausstand gegangen".

Lina Beckmann, die trotz Impfung positiv auf Covid-19 getestet wurde, ist momentan in Quarantäne. Aus dieser wurde sie bei der Premiere der Revue "33 Variationen auf Haydns Schädel" von Péter Esterházy live per Video ins Hamburger Schauspielhaus zugeschaltet. Als Richard ist sie wieder am 8. und 28. Dezember sowie am 13. und 31. Januar zu sehen.

Der Kurt-Hübner-Regiepreis, der im Rahmen des Gertrud-Eysoldt-Rings ebenfalls in Bensheim vergeben wird, geht in diesem Jahr an Leonie Böhm für ihre am Schauspielhaus Zürich entstandene Inszenierung "Medea". Beide Preise sollen im Frühjahr 2022 verliehen werden.

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