Süddeutsche Zeitung

"Gauguin" im Kino:Nur eine Mango vom Hungertod entfernt

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Vincent Cassel spielt in "Gauguin" den Pariser Maler als lebenshungrigen Unsympathen. Die schmerzhaftesten Fakten seines Südsee-Lebens verschweigt der Film aber lieber.

Von Kathleen Hildebrand

Nein, einfach ist es nicht, das einfache Leben. Auf dem Weg durch den dunkelgrünen tropischen Dschungel zu einem besonders beeindruckenden Bergplateau macht der Zivilisationsflüchtling Paul Gauguin Rast. Er bindet ein Messer fest an einen langen Stock, watet damit hüfttief in einen rauschenden Fluss, der ihn beinahe mit sich fortreißt. Er sticht ins Wasser, einmal, zweimal, dreimal, aber natürlich steckt am Ende kein Fisch am Stock. Gauguin ist frustriert. Er nimmt sein Gewehr, schießt in den Fluss. Ebenfalls umsonst.

Man vergisst angesichts dieser Slapstick-Szene kurz, dass Paul Gauguin gerade nur eine Mango weit vom Hungertod entfernt ist. Auf einer kleinen Insel mitten im Pazifik, ohne Geld, ohne Freunde. Und sie zeigt ganz wunderbar, wie distanziert der Regisseur Edouard Deluc seiner Hauptfigur begegnet, dem heute weltberühmten Maler, dessen Bilder damals noch niemand kaufen wollte. Er habe einen Abenteuerfilm drehen wollen, hat Deluc gesagt, keinen Künstlerfilm.

Man sieht Gauguin also im Weitwinkel auf einem Pferd durch großartige Landschaften reiten. Er jagt verzweifelt Fische und entdeckt, kurz bevor es zu spät ist für ihn, im Dunkel der Nacht ein Eingeborenendorf, in dem junge Frauen halb nackt ums Lagerfeuer tanzen. Für große Genieverehrung, wie man sie von einem Künstler-Biopic erwarten würde, interessiert sich dieser Film sehr wenig.

In der Südsee, glaubt Gauguin, ist die Menschheit Kind geblieben ist

Der Gauguin, den er dem Zuschauer zeigt, ist anfangs ein verarmter Tagelöhner in Paris. Seine Malerfreunde träumen zwar mit ihm von der großen Inspiration in Polynesien. Aber sie ahnen, dass man auch in der Südsee Geld zum Leben braucht. Natürlich blickt Gauguin bei der Abschiedsfeier mit nichts als Verachtung auf die mutlosen, dekadenten Pseudo-Bohémiens, die ihn nicht begleiten wollen in die Welt des Primitiven, Ursprünglichen, Echten. In die Südsee, wo die Menschheit, wie er glaubt, Kind geblieben ist.

Dass Vincent Cassel den Maler spielt, ist schon in diesen frühen Pariser Szenen ein gewaltiges Glück und wird es später im Film noch mehr sein, wenn er sich sehnig-ausgezehrt mit frustriertem, irrem Blick durch den Urwald schleppt. Cassel hat eines der interessantesten Gesichter des Kinos, aber es ist mehr das Gesicht eines Bösewichts als das eines Helden.

Und so scheint von Beginn an klar zu sein, dass man diesem vielleicht genialen, aber arroganten Künstler den Erfolg, den er zu verdienen glaubt, gar nicht unbedingt wünschen will. Der Regisseur zieht den Zuschauer nicht auf Gauguins Seite, sondern auf die der Menschen, die er verletzt. So angewidert langsam, wie die Kamera durch sein armseliges Pariser Appartement schwenkt, in das er seine siebenköpfige Familie pfercht, muss man ihn für rücksichtslos halten. Und wenn er am Ende seine polynesische Geliebte aus Eifersucht einsperrt, kann man ihn nicht mit seiner Genialität entschuldigen.

Von den Mädchen, mit denen Gauguin lebte, war keine älter als 14

Wegen dieses grundsätzlich skeptischen Blicks auf Gauguin möchte man diesen Film ein kleines bisschen in Schutz nehmen gegenüber der harschen Kritik, die ihm in Frankreich entgegenschlug. Er verharmlose die koloniale französische Vergangenheit, hieß es in Le Monde und anderen Zeitungen, und spare unangenehme Wahrheiten über das Leben des Künstlers in der Südsee aus.

Der Vorwurf ist berechtigt: Gauguins Geliebte Tehura wird im Film von der Schauspielerin Tuhei Adams gespielt. Als sehr schöne, starke junge Frau, die angenehm desinteressiert ist an den Bildern, die ihr Liebhaber von ihr malt. Während sie posiert, mit angezogenen Beinen am Boden liegend, kompakt wie eine Totemfigur, beobachtet sie den jungen Jotépha, auf den Gauguin später eifersüchtig werden wird.

Edouard Deluc erzählt das als klassische Dreiecksgeschichte zwischen Erwachsenen. In Wahrheit aber lebte Gauguin auf Tahiti abwechselnd mit vier verschiedenen Mädchen zusammen, von denen keine viel älter als 13 Jahre war. Es war Ende des 19. Jahrhunderts nicht unüblich, dass französische Kolonialisten in der Südsee mit sehr jungen Frauen zusammenlebten. Aber unerwähnt sollte es ein Film, der Gauguin auch als Kolonialisierungskritiker darstellt, deshalb nicht lassen.

Auch die Tatsache, dass Gauguin an Syphilis litt und nicht bloß an "Diabetes", wie ihm im Film ein besorgter französischer Insel-Arzt diagnostiziert, bleibt unerwähnt. Die schwierige Frage, wie viel Bewunderung ein Künstler bekommen sollte, der als Mensch versagt hat, stellt "Gauguin" deshalb letztlich doch nicht klar genug.

Gauguin , Frankreich 2016 - Regie: Edouard Deluc. Mit: Vincent Cassel, Tuhei Adams, Malik Zidi. Studiocanal, 101 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2017
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