Süddeutsche Zeitung

Fotografie:Auf dem Weg zum neuen Sehen

Lesezeit: 2 min

Im Archiv der Universität der Künste Berlin lagert eine überwältigende Sammlung historischer Fotografien. In Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum, das eine Auswahl zeigt, wurden die Bilder digitalisiert und dokumentiert

Von Jürgen Moises

Die Rolle der Fotografie im Bund der Künste blieb für viele Jahre ungeklärt. Für eine vollständige Anerkennung als ein eigenständiges künstlerisches Medium dauerte es bekanntlich mehr als 100 Jahre. Davor wurde sie von vielen nur als mechanisches Reproduktionsverfahren angesehen und damit als bloßes Handwerk. Als technisches Hilfsmittel war sie den Künstlern trotzdem recht, wie Beispiele wie Adolph von Menzel, Gustave Caillebotte und unzählige andere zeigen, die Fotografien als Vorbilder genutzt haben. In dieser Rolle als Vorbild, aber auch als Nachbild oder allgemein Abbild der Wirklichkeit ist die Fotografie nun in einer Ausstellung des Münchner Stadtmuseums Thema. "Vorbilder/Nachbilder" heißt die von Ulrich Pohlmann kuratierte Schau, die 320 Werke aus der fotografischen Lehrsammlung der Universität der Künste in Berlin aus der Zeit von 1850 bis 1930 präsentiert.

Wie der Titel besagt, handelt es sich dabei um Lehrmaterial, das genauso wie Gipse, Kupferstiche, Zeichnungen, Modelle und zeitweise auch Kleintiere zum Erlernen der künstlerischen Fertigkeiten und Motive diente. Ungefähr 250 000 fotografische Einzelblätter sind es insgesamt, die im Archiv der Universität der Künste schlummern und in den vergangenen fünf Jahren im Rahmen eines Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit dem Münchner Stadtmuseum dokumentiert, archiviert und digitalisiert wurden. Entstanden ist die Sammlung an der Berliner Kunstakademie sowie an der führenden Kunstgewerbeschule, die beide in den 1920ern fusioniert wurden. In den Jahrzehnten danach war sie nahezu vergessen. Und so ist auch ein Großteil der ausgestellten Bilder nun erstmals öffentlich zu sehen.

Dabei finden sich unter den Fotografen große Namen. Adolphe Braun und Karl Blossfeldt sind darunter, Ottomar Anschütz, Eadweard Muybridge, Albert Renger Patzsch und mit vier von insgesamt sechs erhaltenen Bildern der amerikanische Fotograf und Kunstvermittler Alfred Stieglitz. Die zuvor unbekannten Bilder stammen aus der Frühphase von Stieglitz, zeigen italienische Genremotive wie ein "Mädchen mit Korb" oder "Fischer in Chioggia" und sind im Kapitel "Italien" zu sehen. Gelandet sind sie in der Sammlung, weil der Amerikaner von 1882 an Maschinenbau an der Technischen Hochschule in Berlin studierte und dort unter anderem in Kontakt mit dem Fotochemiker Hermann Wilhelm Vogel kam.

Weitere Kapitel der Ausstellung sind den Themen Kunstreproduktionen, Natur-, Tier- und Aktstudien, Historienbilder, Architektur, Spanien, Orient, Künstlerfeste und Neues Sehen gewidmet sowie den Fotografen Karl Blossfeld und Albert Renger Patzsch. Blossfeld ist für seine streng-formalen Pflanzenfotografien bekannt und in München auch in der Pinakothek der Moderne mit Arbeiten vertreten. In Berlin war er Dozent am Kunstgewerbemuseum und zuvor Student und Assistent von Moritz Meurer, für den er Fotografien und Skulpturen als Lehrmaterial angefertigt hat. Von Renger Patzsch gelangten 1928 durch Ankauf 41 Aufnahmen in die Sammlung. Der berühmte Vertreter des Neuen Sehens und der Neuen Sachlichkeit war zu der Zeit noch kaum bekannt. Zehn ausgesuchte Arbeiten sind zu sehen.

Ottomar Anschütz, Adolphe Braun und Wilhelm von Gloeden tauchen als umtriebige Fotografen in mehreren Kapiteln auf. So sind von Anschütz etwa Tierstudien und Aufnahmen von Manövern zu sehen. Von Adolphe Braun gibt es Blumen- und Architektur-Bilder. Wilhelm von Gloeden hat Aktbilder gemacht, oft nach antiken Vorbildern, sowie etwa in Italien ein Selbstporträt als Nazarener. Im Falle der Architektur gehören die großformatigen Bilder zu den Besonderheiten, die Albrecht Meydenbauer im Dienste der Königlich-Preußischen Messbildanstalt angefertigt hat, wie etwa vom Münster in Straßburg. Und was noch eine allgemeine Besonderheit angeht: Alle Fotografien wurden zum Schutz und zur besseren Handarbeit auf Kartons montiert. So gibt es zwar Vermerke, Risse, Fehlstellen. Aber viele der Arbeiten aus dem Archiv, das, so Ulrich Pohlmann, für Fotohistoriker ein wahres "Schatzhaus" ist, sind erstaunlich gut erhalten.

Vorbilder/Nachbilder. Die fotografische Lehrsammlung der Universität der Künste Berlin 1850-1930 , bis 14. Juni, Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Pl. 1

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4787507
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.