Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

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Ein Krankenwagen wird bei Actionjunkie Michael Bay zum Fluchtfahrzeug und ein Junggesellinnen-Abschied auf Ibiza nimmt unerwartete Wendungen. Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

Ambulance

Philipp Stadelmaier: Ein psychopathischer Bankräuber (Jake Gyllenhaal) nimmt nach einem Banküberfall im Zentrum von L.A. eine Notärztin (Eiza González) als Geisel und flieht in einem Krankenwagen, verfolgt von der Polizei. Obwohl das Tempo auf einem monoton hohen Aufregungs- und Stresslevel bleibt, ist der Autoverfolgungs-Film für den Explosions- und Krawallspezialisten Michael Bay doch vergleichsweise fokussiert, beinahe sogar spannend.

Come on, Come on

Susan Vahabzadeh: Joaquin Phoenix' erster Auftritt seit dem Oscar für "Joker" - er sucht die Herausforderung im Gegenentwurf. Johnny ist ein ruhiger Typ, der seinen Mitmenschen offen und mit Wohlwollen begegnet. Seine Schwester bittet ihn, auf ihren kleinen Sohn aufzupassen, was sich als deutlich schwieriger erweist, als es sich der kinderlose New Yorker Journalist vorgestellt hat. Der große cineastische Menschenbeobachter Mike Mills inszeniert das in Schwarz-Weiß, wunderbar unspektakulär. Als wollte er beweisen, wie bewegend leise Töne sein können.

Cicero - Zwei Leben, eine Bühne

Annett Scheffel: Zwei hochtalentierte Musiker, Vater und Sohn, beide mit wechselhaften Karrieren, beide früh an einem Hirnschlag verstorben: Eugen und Roger Cicero. Der eine fusioniert in den Sechzigern als Pianist Klassik und Jazz, spielte mit Ella Fitzgerald und Shirley Bassey, der andere wurde in den Nullerjahren als Sänger zwischen Swing und Pop bekannt und vertrat Deutschland beim Eurovision-Song Contest. Regisseur Kai Wessel kontrastiert in seinem Doppelporträt zwei Künstlerbiografien, die gegensätzlich verliefen und doch erstaunlich viel gemeinsam haben. Man erlebt eine enge, aber komplizierte Vater-Sohn-Beziehung und erfährt Aufschlussreiches über das Verhältnis zwischen Jazz und deutscher Unterhaltungsindustrie.

JGA: Jasmin. Gina. Anna.

Josef Grübl: "Vielleicht hätten wir doch irgendetwas mit Spa machen sollen." Diese Erkenntnis kommt den Mittdreißigerinnen Jasmin, Gina und Anna zu spät: Sie feiern Junggesellinnenabschied auf Ibiza, zwar ohne Braut, dafür mit Exfreunden, Ecstasy-Fake-Pillen und exzentrischen Entkleidungskünstlern. Was nach einem deutschen Urlaubs- und Partyfilmdesaster klingt, wird unter der Regie (und dem Drehbuch) von Alireza Golafshan zu einer furiosen Freundinnenkomödie, die ihre Charaktere ernst nimmt und trotzdem einen Gag an den nächsten reiht. Und die Stripper-Szene ist mit das Lustigste, was man seit langer Zeit im deutschen Kino gesehen hat.

Silence Breakers

Peter Münch: Die Dokumentarfilmerin Silvina Landsmann zeigt hier die Arbeit der israelischen NGO "Breaking the Silence". Es ist eine schwierige, schmerzvolle Arbeit, denn die Aktivisten der bereits 2004 gegründeten Organisation richten ihre Scheinwerfer auf finstere Ecken ihres Landes. Sie sammeln Zeugenaussagen ehemaliger Soldaten, die ihr Schweigen brechen und als Whistleblower Auskunft geben über Armeegewalt in den besetzten palästinensischen Gebieten. Sie wollen zeigen, wie die seit 55 Jahren andauernde Besatzung die jungen Wehrpflichtigen, die Armee und die ganze Gesellschaft vergiftet.

Tove

Nicolas Freund: Tove Jansson, angehende Künstlerin und Autorin der "Mumin"-Kinderbücher, kann sich nicht entscheiden: zwischen dem etwas schluffigen, linken Politiker Atos Wirtanen und der selbstbewussten Theaterregisseurin Vivica Bandler, also auch: zwischen Mann und Frau, zwischen bürgerlicher Ehe und wildem Abenteuer. Regisseurin Zaida Bergroth porträtiert eine Künstlerin am Scheideweg. Das verschlafene Helsinki der Nachkriegszeit hat sie dabei für die sehr emotionale Liebesgeschichte mit viel Sex und Partys aufgepeppt. Die Filmbiografie über eine unangepasste junge Frau unterwegs zu sich selbst ist ihr gelungen - auch wenn die knuffigen Mumins nur am Rande vorkommen. Aber manche ihrer verrückten Abenteuer wird man hinterher besser verstehen.

This Rain Will Never Stop

Juliane Liebert: Andriy Suleyman ist Sohn einer Ukrainerin und eines Kurden. Seine Familie ist vor der Gewalt in Syrien in die Ostukraine geflüchtet, wo sie der Krieg wieder einholt. Andriy entscheidet sich, als Freiwilliger für das Rote Kreuz zu arbeiten. Die ukrainische Regisseurin Alina Gorlova hat eine Meditation über den Krieg und das Leben gedreht, in eindrucksvollem Schwarz-Weiß, nicht ästhetisierend, sondern nah an den Menschen. Wer die Frontnachrichten im Liveticker nicht mehr aushält, aber den Eskapismus scheut, sollte "This Rain Will Never Stop" anschauen.

Trümmermädchen - Die Geschichte der Charlotte Schumann

Anna Steinbauer: Deutschland nach 1945. Ein Land liegt in Trümmern, und die Frauen bauen es wieder auf. So lautet zumindest das Narrativ, das Regisseur Oliver Kracht in seinem krachenden Spielfilmdebüt genüsslich aushöhlt: Wiederhergestellt oder sogar erst erweckt werden in dem beachtenswerten Film, der zugleich Rollenspiel, Drama und Therapiestunde ist, vor allem weibliches Selbstverständnis und Macht. In dem angeblichen "Fräuleinkurs" der Schauspielerin Gloria lernen fünf junge, kriegsgebeutelte Frauen Emanzipation - auf schmerzhafte, unterhaltsame und visuell berauschende Weise.

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