Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen und welche nicht

Lesezeit: 3 min

Autofahren bringt schmerzhafte Wahrheiten ans Licht, ein Leonardo da Vinci wird verkauft, und in der "Matrix" heißt es wieder: Blau oder Rot? Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

Aline - The Voice of Love

Fritz Göttler: Der Aufstieg des internationalen Megastars Céline Dion, die Kindheit in einer Großfamilie in Québec, 15 Kinder, das Vertrauen, das ihr Produzent - und späterer Ehemann - in sie setzt, der Sieg bei der Eurovision in Dublin, die Triumphe in Las Vegas. Variety mäkelte natürlich, aber Valérie Lemercier weiß, wie man effektives Melodram inszeniert, und verkörpert auch selber den Star (der im Film Aline Dieu (!) heißt). Hinreißend die puppenhaften, affektierten Bewegungen des Jungstars, bewegend eine Beerdigung mit Elvis' "Love Me Tender". Und zum Schluss: I'm tired of you, America.

Drive My Car

Fritz Göttler: Ein Mann muss über den Tod seiner Frau hinwegkommen, er fängt zu reflektieren an, seine Liebe, die Liebe ganz allgemein, die Gemeinsamkeit und das Alleinsein. Er ist Regisseur und Schauspieler beim Theater, macht schließlich einen Workshop in der Fremde, in Hiroshima, wo er "Onkel Wanja" probt. Die Zeit arbeitet für Ryūsuke Hamaguchi in seinen mehrstündigen Filmen, nächtliche Autofahrten im roten Saab zwischen Theater und Hotel, auf denen Tschechows Dialoge zu hören sind oder Erinnerungen von der Frau, die den Regisseur chauffiert. Ein Traum: Ein Neunauge werden, sich an einem Felsen festsaugen und immer dünner werden, hin und her wedeln wie Seetang. Nach einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami. Ein bestürzend schöner, emotionaler Film, der einen nicht wieder loslässt, und am Ende gibt es eine der wunderbarsten Umarmungen der Kinogeschichte.

Ein Festtag

Josef Grübl: An Festtagen sollte man sich etwas gönnen, findet zumindest das Liebespaar in dieser prominent besetzten Romanverfilmung nach Graham Swift. Sie ist Dienstmädchen, er ein junger Mann aus der britischen Oberschicht. Im Jahr 1924 schickt sich das nicht, also haben die beiden heimlich Sex. Nur am titelgebenden "Mothering Sunday" schläft er mit ihr im Herrenhaus, es ist sein Abschiedsgeschenk, bald soll er eine andere heiraten. Was wie ein trauriges Frauenschicksal klingt, ist für die französische Regisseurin Eva Husson die Geschichte einer Befreiung: Sie spannt einen großen Erzählbogen und lässt ihre Heldin den gesellschaftlichen Zwängen jener Zeit entfliehen.

Frau im Dunkeln

Annett Scheffel: Es beginnt als Sommerfilm, gleißendes Licht, satte Farben, das rauschende Meer. Im Urlaub auf einer griechischen Insel begegnen sich zwei Frauen, zwei Mütter aus zwei Generationen, zwei Rollenbilder. Und unter der Oberfläche glimmt ein komplexes Gemisch aus Scham, Schmerz und dem Gefühl, im gesellschaftlichen Normengefüge verloren zu gehen. Die Schauspielerin Maggie Gyllenhaal hat für ihr Regiedebüt Elena Ferrantes gleichnamigen Roman verfilmt. Olivia Colman spielt die Hauptrolle; Kamerafrau Hélène Louvart ("Niemals selten manchmal immer") findet intensive Bilder. Ein eleganter Film aus weiblicher und über weibliche Perspektive. (Im Kino, ab 31.12. 2021 auf Netflix.)

The Lost Leonardo

Kia Vahland: Der Kunstmarkt generiert bisweilen märchenhafte Gewinne, hochfahrende Fantasien und große Blamagen. In seinem Dokumentarfilm rekonstruiert Andreas Koefoed den Kunstkrimi um das für viel Geld als angebliches Original Leonardo da Vincis versteigerte Christusgemälde "Salvator Mundi". Das ist packend und realistisch erzählt und solide recherchiert, leider aber kommt ein Protagonist zu wenig zu Wort: Leonardo da Vinci, der schon wusste, was er wie gemalt hat. Und was nicht.

The Matrix Resurrections

Tobias Kniebe: Weil es keine große Filmsaga mehr gibt, die heute nicht weiter monetarisiert werden muss, liefert Lana Wachowski nach langer Weigerung nun doch einen vierten "Matrix"-Film - allerdings ohne Schwester Lilly. Raum- und Zeitverbieger Neo (Keanu Reeves) heißt jetzt wieder Thomas Anderson und ist nur ein Game-Designer, der vor Jahren die "Matrix"-Trilogie erfunden hat. Nahm er seine Schöpfung ein bisschen zu ernst? Das versucht der "Analyst" (Neil Patrick Harris) ihm einzureden, zur Beruhigung gibt er ihm lauter blaue Pillen. Aber guess what: Die Maschinen ruhen nicht, und alles geht wieder von vorne los. In guten Momenten spürt man Nostalgie nach der Zeit um die Jahrtausendwende, in den schlechten merkt man, dass die selbstreflexive Story-Verschachtelung der Gegenwart ein Fluch ist.

The Tragedy of Macbeth

Nicolas Freund: Macbeth und kein Ende: Nur sechs Jahre nach der letzten Verfilmung bringt Joel Coen das blutige Shakespeare-Drama neu ins Kino. Seine erste Regiearbeit ohne Bruder Ethan. Mit dabei sind dafür die Oscarpreisträger Denzel Washington und Frances McDormand in den Hauptrollen. Die Inszenierung ist doppelbödig: Mit philologischer Akribie wurde der Originaltext bearbeitet und manches ausformuliert, was in dem Stück nur angedeutet wird. In Schwarz-Weiß und fast quadratischem Bildformat, mit altmodischen Kostümen wie von den Salzburger Festspielen 1968 wirken die Bilder sehr klassisch, fast überinszeniert. Aber bei Shakespeare heißt es ja auch, die Welt ist eine Bühne, und eines der Probleme des Macbeth-Paars ist, dass ihnen die Welt leer und grau geworden ist. Ein "Macbeth" für die Gegenwart und eine jetzt schon zeitlose Verfilmung des Klassikers. (Kinostart 23.12.2021, ab 14.01.2022 auf Apple TV+).

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