Süddeutsche Zeitung

Film:Die gegen Mauern rennt

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Regisseurin Isabel Coixet studiert wieder einmal eine Sture: "Der Buchladen der Florence Green" erzählt von einer Buch­revoluzzerin.

Von Susan Vahabzadeh

Die ersten Minuten von "Der Buchladen der Florence Green" sind geradezu Betrug. Die fünfziger Jahre waren nicht idyllisch; sie sahen nur so aus. Aber Isabel Coixet lockt den Zuschauer ein wenig aufs Glatteis. Die Witwe Florence Green (Emily Mortimer) zieht, als sich das Jahrzehnt dem Ende zuneigt, in ein Dorf in Suffolk. Die Wellen krachen an die Küstenfelsen, die sanfte Hügellandschaft schimmert grün, die kleinen Mädchen tragen Schürzen, und die alten Häuser von Hardborough trotzen der Zeit. Selbst der Dorfgriesgram Edmund Brundish (Bill Nighy) wirkt irgendwie romantisch. Florence will sich in Hardborough ein neues Leben aufbauen: Einen Buchladen wird sie eröffnen. Man möchte gerade seufzen, wie schön es war, als die Menschen noch Bücher lasen, da wird Folrence darauf hingewiesen, hier lese niemand.

Florence hat eine ordentliche Portion Widerstandsgeist mit nach Hardborough gebracht. Das macht sie zu einer klassischen Figur für die Filmemacherin Isabel Coixet, die gern von ungewöhnlichen, sturen Frauen erzählt, seit sie vor mehr als zwanzig Jahren "Mein Leben ohne mich" drehte, über eine junge Frau, die an Krebs erkrankt und ihre Dinge regelt, sich aber nicht behandeln lässt. Auch Florence wird ihre Sturheit brauchen.

Isabel Coixet verfilmt hier einen Roman von Penelope Fitzgerald, der in den Fünfzigern spielt, aber in den siebziger Jahren geschrieben wurde. Florences Enthusiasmus erhält eine ganze Reihe von Dämpfern, noch bevor sie den Laden eröffnet hat, und die Stimmung wirkt bald nur noch bedrückend. Die Leute, die im Ort an der Macht sind, wollen Florence dort nicht haben. Den anderen ist sie bestenfalls egal. Sie findet dann aber bald einen unerwarteten Verbündeten, das erste Buch, dass sie verkauft, geht an Edmund Brundish: "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury. Die fiese Science Fiction vom glückspendenden Bücherverbrennungsstaat schickt sie Mr. Brundish, das Buch erfüllt die Kriterien, nach denen er sie nun Bücher für sich aussuchen lassen will: Romane dürfen gern von schrecklichen Menschen handeln, Biografien aber nur von guten Menschen, eine Spezies, die er selbst für ausgesprochen selten hält.

Was Hardborough angeht, hat er sicher recht. Zur Haute Volée dieses Küstenkaffs gehören ein Banker, der nur sehr ungern Geld an Damen verleiht, ein inkompetenter Anwalt, der lieber als Lebemann zur Welt gekommen wäre, und die beiden Bewohner des Herrenhauses, das Ehepaar Gamart, ein widerliches Paar: Er ist ein Scheinheiliger, seine Frau Violet ein bösartiger Kontroll-Freak. Zuckersüß erklärt sie Florence, dass sie mit dem Buchladen andere Pläne habe und beginnt dann, in London zu intrigieren. Die sonst wunderbare Patricia Clarkson spielt Violet leider wie eine Disney-Figur, als eine Art Cruella de Smalville. Aber Emily Mortimer sieht man gerne zu, wie sie sich immer wieder aufrichtet, wenn es haarig wird in Hardborough. Am besten versteht sich Florence bald mit dem kleinen Mädchen, Christine, das ihr ein Paar aus dem Dorf zur Kinderarbeit als Gehilfin andreht.

Was Florence widerfährt, sagt Emily Mortimer, ist "das Gegenteil des amerikanischen Traums" - all ihre Energie nützt ihr nichts. Sie rennt gegen Mauern aus Bigotterie, man darf hier einfach nicht aus der Herde ausscheren. "Fahrenheit 451" spielt eine wichtige Rolle in diesem Film, was in der synchronisierten Fassung allerdings nicht zu hören ist: Es gibt eine Erzählerin, die von Florence Greens Schicksal in Hardborough erzählt; und im Original hört man hier die Stimme von Julie Christie, die in Truffauts "Fahrenheit"-Verfilmung von 1966 die Buchrevoluzzerin Clarisse spielte.

Es gibt mehr als eine Buchrevoluzzerin in "Der Buchladen der Florence Green", aber das erschließt sich erst vom Ende des Films her. Und dann ist auch klar, warum diese Geschichte für Isabel Coixet nicht nur ein Blick zurück in finstere Zeiten ist, sondern allgemeingültig: Den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit gibt man nicht auf, nur weil man ihn verloren hat.

The Bookshop, Spanien/Großbritannien/Deutschland 2017 - Regie und Drehbuch: Isabel Coixet, . Kamera : Jean-Claude Larrieu. Mit: Emily Mortimer, Bill Nighy, Patricia Clarkson, Honor Kneafsey, James Lance, Reg Wilson, Michael Fitzgerald, Julie Christie. Capelight, 113 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2018
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