Süddeutsche Zeitung

Film:Der große Sprung

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"Ausgeflogen" - eine Komödie aus Paris von Lisa Azuelos, mit der fabelhaften Sandrine Kiberlain als alleinerziehender Mutter.

Von Fritz Göttler

Théo ist richtig sauer, frustriert verlässt er die Wohnung: Da schläft sein bester Freund mit seiner jüngeren Schwester, und niemand sagt ihm was. Er fühlt sich in seiner Doppelrolle beschädigt, im Verantwortungsgefühl, das er für die Schwester entwickelt, und in der aufrichtigen Freundschaft. Victor Belmondo spielt Théo, Jean-Pauls Enkel.

Théo, Lola, Jade, das sind die drei Kinder von Héloïse, die alleinerziehende Mutter ist und ein Restaurant führt im Zentrum von Paris. Die beiden älteren wohnen schon längere Zeit nicht mehr daheim, nun macht Jade Abitur und wird dann studieren, in Kanada. Die Drohung von Einsamkeit verstört Héloïse, plötzlich ist ihr Lebensinhalt weg. Weil sie immer für ihre Tochter da war, hat sie die Leere in ihrem eigenen Leben gar nicht mitgekriegt.

"Mon Bébé" heißt der Film von Lisa Azuelos im Original, es steckt viel Autobiographisches in ihm - sie hat ebenfalls drei Kinder allein großgezogen, und sie kennt die Schrecken der Abnabelung, von der sie erzählt, wenn die Kinder groß geworden sind. Ihre eigene Tochter Thaïs Alessandrin spielt Jade. Vor zehn Jahren hat Azuelos den sehr erfolgreichen "LOL" gedreht, Sophie Marceau spielte da die Mutter, die sich mit ihrer Teenagertochter rumschlägt, und als Schwesterchen war auch Thaïs schon dabei.

"Mon Bébé" ist eine robuste Komödie, von den Situationen her konstruiert. Als Héloïse und Jade anfangs verschlafen und zum Abitur rasen, werden sie prompt von einem Polizisten gestoppt, und die Mutter spielt ihm sehr spontan und enervierend vor, dass sie ihre Periode habe, alles sei ganz nass ... Später muss die Mutter zur Direktorin der Schule, weil sie der Tochter per Handy Tipps in der Prüfung zu geben versuchte, da fängt sie an sich zu erregen, das Abi werde überschätzt, was soll man schon mit einem Studium anfangen, der Direktorin wird es ganz schummerig, und sie wird gedrängt, dem gegenzusteuern ...

Sandrine Kiberlain ist Héloïse, großartig in ihren Erregungsglissandos, ungemein bewegend in ihren müden Momenten. Komödien werden immer noch hauptsächlich von Männern gemacht, klagt Lisa Azuelos, und Frauen in Komödienhauptrollen bringen selten großen Erfolg. Als Héloïse anfängt, sich mal wieder für sich selber umzuschauen - Ich bin pragmatisch, erklärt sie dem Mann, und der: Ein so hässliches Wort aus einem so hübschen Mund -, erwischt sie gleich zu viel Alkohol, das hat dann ein Nachspiel auf dem nächtlichen Bürgersteig.

Ich muss mich vorbereiten, sagt Héloïse, als sie am Frühstückstisch ihr Smartphone hebt und Jade filmt: Ich schaffe mir Erinnerungen. Es ist dann ein heftiger Schock für sie, als sie ihr Phone verliert. Mit einer App kannst du es doch orten, erklären die Kinder, sie haben sie ihr heimlich draufgeladen. Wir wollten wissen, ob du einen Freund hast. Helikopterkinder! Aber Héloïse ist lernfähig. Sie wagt, mit ihrer Tochter, den großen Sprung.

Mon Bébé , F 2018 - Regie und Buch: Lisa Azuelos. Kamera: Antoine Sanier. Schnitt: Baptiste Druot. Musik: Yael Naim. Mit: Sandrine Kiberlain, Thaïs Alessandrin, Camille Claris, Victor Belmondo, Mickaël Lumière, Kyan Khojandi. Alamode, 97 Min.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2019
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