Süddeutsche Zeitung

Ernst Jünger und seine Leser:Anleitung zum Kaltduschen

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Martin Schulz, Elon Musk, Rudolf Augstein: Ernst Jünger stiftet eine atmosphärische Verbundenheit unter Männern, die sonst nicht viel gemeinsam haben.

Von Carolin Amlinger

Ernst Jünger war kein Warmduscher. "Er badete bis ins hohe Alter jeden Morgen kalt, was ihn hart ankam", stellt Rudolf Augstein in seinem Nachruf bewundernd fest. Die widerstandsfähige Haltung, die dem Schriftsteller zugeschrieben wird, ist nicht erst in Zeiten steigender Energiekosten attraktiv.

Sich zu Jünger zu äußern birgt ein hohes Erregungspotenzial. Er ist zweifelsohne eine ebenso populäre wie umstrittene Gestalt der deutschen Geistesgeschichte, die eine elektrisierende Mischung aus Anziehung und Abneigung freisetzt. Für die einen ist er der meisterhafte Stilist, für die anderen ein glühender Nationalist und Demokratiegegner.

Interessant sind darum weniger Jüngers Texte, die mit ihrem triefenden Pathos der Ernsthaftigkeit bisweilen nur schwer zu ertragen sind, sondern die Lesegemeinschaft, die sich um ihn gruppiert. Ob in Popsongs oder in der Literatur für wenige, ob in linksalternativen Zeitschriften oder neurechten Manifesten - die Figur Jünger ist bis heute hartnäckig präsent als männliche Lesegeste.

Ein Underdog, der isoliert durch die Welt stolpert und über diese zu spotten weiß

Elon Musk stellt auf Twitter öffentlich zur Schau, dass er Jünger liest. Der SPD-Politiker Martin Schulz tut dies ebenfalls, aber ganz bodenständig auf der Leipziger Buchmesse. Das (teilweise ironisch gebrochene) Abfeiern des virilen Sounds transzendiert kulturelle und politische Topografien. Jünger stiftet eine atmosphärische Verbundenheit unter Männern, die sonst nicht viel gemeinsam haben.

Dabei ist die Identifikationsfigur eigentlich relativ profan. Ein Underdog, der isoliert durch die schlechte Welt stolpert und überlegen über diese zu spotten weiß. Ein Solitär, der ganz bei sich ist, der sich keiner Ordnung unterwerfen würde und gegen die Mittelmäßigkeit der Demokratie wettert. Gerade weil diese Figur aus der Zeit gefallen zu sein scheint, stiftet sie "Trost durch Teilhabe" (Niels Penke): Durch sie versichert man sich, dass man noch viel zu sagen hat - auch wenn niemand mehr zuhören mag.

Nun liegen Ernst Jüngers Tagebücher aus der Zeit zwischen 1939 und 1948 unter dem Titel "Strahlungen" in einer historisch-kritischen Ausgabe neu vor. Mit chirurgischer Präzision beobachtet der passionierte Insektenforscher dort nicht nur Schöpfung und Tod in der Natur, sondern im selben Atemzug die zerstörerische Kraft der menschlichen Zivilisation.

Es ist die Formarbeit der kühlen Distanz, die so große Faszination ausübt

Als er im Winter 1942 an die Ostfront gerät, beobachtet er die Deportationen und die Gräuel an der Zivilbevölkerung mit Ekel. Doch die Schoah erscheint ihm als brachiales Naturereignis. Er ist bloß ein "Barometer", das die extremen Ausschläge der zivilisatorischen "Taifune" misst, wie er schreibt.

Emblematisch geben nun die Bearbeitungsstufen der Tagebucheinträge, die in der historisch-kritischen Ausgabe farblich sichtbar sind, Auskunft über die Formarbeit der kühlen Distanz, die so große Faszination ausübt. Vor allem eben auf Männer. Die beiden Herausgeber Joana van den Löcht und Helmuth Kiesel schreiben in ihrem informativen Vorwort, dass die Edition "Einblicke in die Schreibwerkstatt des Autors" gewährt.

Mithin liest sich die Ausgabe als eine praxeologische Rekonstruktion von literarischen Texten. Das Authentische, das dem Tagebuch anhaftet, wird hier als Stilisiertes sichtbar. Das minutiöse Feilen am Text und die permanente Revision verweisen auf die aktive Verknüpfungsleistung von Fakt und Fiktion, der stets "unabgeschlossenen Berührung mit der Wirklichkeit", wie Jünger selbst betont.

Die drahtige Haltung, die mit der Figur Jünger assoziiert wird, ist ein Produkt von Drill

Die Tilgungen, die der Autor in Neuausgaben vorgenommen hat, enthüllen zudem die Sozialität der isolierten Schreibtischarbeit. So streicht er etwa jene Stellen, die in Rezensionen missfielen. Das Publikum liest nicht nur, es schreibt auch mit. Die vorliegende Dokumentation der Überarbeitungsprozesse dynamisiert den Textpanzer.

Aber nicht nur ihn. Mittelbar wird so auch der männliche "Körperpanzer" ( Klaus Theweleit) als ein fragiles Konstrukt erfahrbar, das permanent mit seiner Auflösung ringt. Wie der Text geschliffen und gebändigt wird, ist auch die drahtige Haltung, die mit der Figur Jünger assoziiert wird, ein Produkt von Drill und Disziplinierung.

In den Varianten des Textes, seinen unterschiedlichen Schattierungen wird ein anderes Bild von Männlichkeit scharf gestellt. Wir sehen nun die Gänsehaut, die der Kaltduscher zu leugnen sucht. Gleichzeitig wird die Geste des unbeugsamen Solitärs, der trotz äußerer Widerstände sich selbst treu bleibt, als zutiefst abhängig kenntlich gemacht. Die Streichungen, die nach der Kritik vorgenommen wurden, verweisen auf die Angewiesenheit auf die Anerkennung anderer.

Die große Leistung der Edition ist neben der akribischen Rekonstruktion von Textarbeit die Einsicht, dass Männlichkeit eine prekäre Erzählung ist.

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