Süddeutsche Zeitung

Ausstellungen über Emil Nolde in Hamburg:Chance verpasst

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War Emil Nolde nicht eben noch als verlogener Antisemit schwer umstritten? In Hamburg widmen sich gleich zwei Ausstellungen dem Künstler - ohne dies ausreichend zu problematisieren.

Von Till Briegleb

In der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle wird mit der Retrospektive zur tschechischen Malerin Toyen aktuell eine Künstlerin gewürdigt, die während der sechsjährigen Besatzung Prags durch Nazideutschland in ständiger Todesangst lebte. Gleichzeitig stellt das Museum in einem Saal des Altbaus in großer Ausführlichkeit die Maltechnik eines Künstlers vor, der 1934 in die NSDAP eintrat, unaufgefordert einen "Entjudungsplan" für Deutschland entwarf und noch in den letzten Kriegsmonaten darüber räsonierte, dass das Weltjudentum an dem Tod deutscher Soldaten schuld sei. Diesem fanatischen Nazi, Emil Nolde, ist gleichzeitig im Bucerius-Kunst-Forum, der Ausstellungshalle der Zeit-Stiftung, eine große Schau gewidmet, die sich mit seiner künstlerischen Findungsphase in Kopenhagen um das Jahr 1901 befasst.

Dieser Ausstellungsschwerpunkt zu Nolde in Hamburg stellt nun unweigerlich die Frage, ob die Aufdeckung seiner faschistischen und antisemitischen Weltanschauung, die vor zwei Jahren durch die große wissenschaftliche Ausstellung von Aya Soika und Bernhard Fulda, "Emil Nolde - Eine deutsche Legende" in Berlin, vollumfänglich geleistet wurde, schon wieder vergessen ist? Sind Noldes unermüdlichen Versuche, zum Staatskünstler in Nazi-Deutschland zu werden, sich als lebenslangen Kämpfer gegen den Einfluss der Juden in der Kunst zu stilisieren, schon wieder so ignorierungstauglich wie in den Nachkriegsjahrzehnten, als der komplette Kunstbetrieb Noldes strategisch erzeugten Vertuschungsmythos vom brutal verfolgten Künstler nachsprach?

"Mehr noch als glühender Hitler-Verehrer war Nolde glühender Nolde-Verehrer"

Die Ankündigungen der beiden Ausstellungen, sich mit rein künstlerischen Aspekten Noldes zu befassen, wirken jedenfalls wie eine Aufforderung, die Moralkeule zurück in die Asservatenkammer zu legen, um Nolde endlich wieder als "Genie" zu feiern. Doch Kathrin Baumstark, seit 2019 Direktorin des Bucerius-Kunst-Forums und Kuratorin der großen Ausstellung "Nolde und der Norden", widerspricht dem "energisch". Der erstmals unternommene Versuch, Noldes künstlerische Entwicklung auf ihre Einflüsse durch die dänische Malerei der Jahrhundertwende zu untersuchen, verfolge eben das Ziel, den von Nolde stets für sich selbst propagierten Genie-Status zu korrigieren.

"Mehr noch als glühender Hitler-Verehrer war Nolde glühender Nolde-Verehrer", sagt Baumstark zu den Gründen seiner Egomanie. Sein Leben lang strickte der Maler an Persönlichkeitsmythen über sich als "rein deutsches" Genie, das von schlechten Einflüssen, besonders jüdischen und französischen, frei geblieben sei. Doch dass Nolde keineswegs der aus sich selbst schöpfende germanische Kunstsolitär war, ist eigentlich schon lange bekannt, etwa was seine Inspiration durch van Gogh betrifft. Neu gezeigt wird in dieser didaktisch überzeugenden Ausstellung, dass Nolde sich früh in seiner Karriere in Bildkomposition und Farbgebung mit der impressionistisch angehauchten dänischen Genremalerei des bürgerlichen Stadtlebens beschäftigte, die wiederum ihre Wurzeln im Goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei hat.

Von Jan Vermeer und Pieter de Hooch über die dänischen Hausszenen von Vilhelm Hammershøi, Viggo Johansen, Anna Ancher oder Georg Achen führt eine direkte Linie zu Noldes ersten Porträts und eigenen Genreszenen als expressive Farbkompositionen. Wobei - wenn man es einmal frei von allen biografischen Belangen würdigen möchte - in der Auswahl aus Noldes Frühwerk stark hervortritt, wie vielfältig seine ersten Lösungsversuche aus der Kunstgeschichte hin zu einem eigenen Stil gewesen sind. Von diffusen Meereslandschaften, die an William Turners verschleierte Malerei erinnern, bis zu Hafenszenen im Stile Monets arbeitet er sich stilistisch offen ab an anderen Genies.

Nun ist das politisch unverfängliche Frühwerk Noldes ein idealer Vorwand, um die falsche Trennung zwischen Künstler und Kunst zu behaupten, mit der Nolde bis 2019 so erfolgreich durch die Kunstgeschichte bugsiert wurde, obwohl seit Kriegsende bekannt sein konnte, was er wirklich dachte. Schließlich hatte er es in seiner Autobiografie "Jahre der Kämpfe" von 1934 in aller Deutlichkeit in die Welt posaunt. Aber selbst mit dem Wissen, dass Nolde keineswegs nur Opfer des Dritten Reichs war, sondern sein treuer Anhänger, wurde seine Kunst stets freigesprochen von politischer Belastung. Und diesem Fehler entgeht auch "Nolde und der Norden" nicht ganz.

Zwar wird anfänglich klar darauf hingewiesen, dass Emil Nolde und seine Frau Ada, die er in Kopenhagen kennengelernt hatte, Nazis waren und trotz der Ablehnung durch den NS-Staat auch blieben. Aber der in der Berliner Schau so überzeugend gelungene Nachweis, dass Noldes Malerei und seine ideologischen Prämissen doch starke Berührungspunkte aufweisen, wird hier bis auf eine Stelle nicht weiterverfolgt. Bei einem Wikingerbild von 1940 ist der Hinweis vermerkt, dass er sich "möglicherweise" damit als "anschlussfähig" an das NS-Regime erweisen wollte.

Expliziter wird diese Ausstellung nicht, weil, so Kathrin Baumstark, sie ihren "mündigen Besuchern viel zutraut", und nicht unter jedes Bild eine Erklärung setzen wolle. Zumal im Begleitprogramm der Ausstellung viel über Noldes problematische Beziehungen zum Hitlerstaat diskutiert werde, etwa durch eine extra eingerichtete Feedback-Plattform oder im Gespräch mit Fachleuten wie dem Journalisten Stefan Koldehoff, der schon vor Jahren über Noldes braunes Wesen berichtet hatte. Doch verpasst die Ausstellung mit dieser Verlagerung ins Rahmenprogramm die Chance, auch Noldes frühe Bilder einmal in den Kontext seiner Weltsicht zu setzen. Denn die war nicht erst im Dritten Reich von Deutschtum, Erdverbundenheit und Heimattreue geprägt, also von völkischen Stereotypen, die für Noldes Kunst so wichtig waren wie für die Entwicklung einer nationalistischen Ideologie, die er später begeistert annahm.

Der Verdacht einer neuerlichen Variante der Nolde-Schönung durch seine Stiftung ist wenig plausibel

Derartige Zusammenhänge zwischen Bewusstsein und künstlerischem Ausdruck Noldes zu benennen, daran ist die Kunsthallen-Ausstellung, "Meistens grundiere ich mit Kreide...", überhaupt nicht interessiert. Kontextualisierung findet bei dieser technischen Expertise über Maluntergründe, Vorzeichnungen und ungemischte Farben nirgends statt - bis auf einen Wandverweis zu dem sehr guten kritischen Arte-Film über Emil Nolde von Anna Maria Tappeiner, "Kunst und Kalkül". Kunsthallen-Direktor Alexander Klar rechtfertigt diese extreme Blickverengung mit der rein technischen Perspektive seiner Kabinettschau, verspricht aber, dass bei der Neuhängung der Moderne 2023 auf den Kontext zwischen Kunst und Biografie auf programmatische Art und Weise eingegangen werde. Bis dahin muss der Besucher eben selbst recherchieren.

Der plötzliche Nolde-Schwerpunkt mit scheinbar unproblematischen Themen könnte natürlich auch den Verdacht nähren, dass die Nolde-Stiftung in Seebüll dabei eine Rolle spielt, zumal, wenn man um die Vergangenheit dieser vom Künstler selbst initiierten Institution bei der jahrzehntelangen systematischen Vertuschung von kritischem Material zu Nolde weiß. Und tatsächlich ist die Stiftung nicht nur als umfangreicher Leihgeber direkt involviert. Die Kunsthallen-Ausstellung ist eine Kooperation mit Seebüll. Und die Zeit-Stiftung, die das Kunst-Forum unterhält, ist Mitfinanzier bei der digitalen Erfassung des Nolde-Archivs im äußersten Norden Deutschlands.

Allerdings ist seit dem Amtsantritt von Christian Ring als Direktor 2013 die Politik des Hauses auf absolute Transparenz umgeschwenkt. Die Berliner Ausstellung "Eine deutsche Legende" war in ihrer Beweiskraft nur möglich, weil Aya Soika und Bernhard Fulda erstmals unzensierten Einblick in alle Quellen hatten. Und dieser Einblick soll nun mit der Digitalisierung auch allen anderen Forschern ermöglicht werden. Somit ist der Verdacht einer neuerlichen Variante der Nolde-Schönung durch seine Stiftung wenig plausibel. Darum müssen sich die Hamburger Häuser selbst fragen, ob sie mit ihren Themensetzungen und der fehlenden Kontextualisierung nicht eher weiter an der Legende von Emil Nolde als genialem deutschen Großkünstler gestrickt haben.

Nolde und der Norden ; Bucerius-Kunst-Forum Hamburg, bis 23. Januar 2022; Katalog: Hirmer-Verlag, München, 220 Seiten, 39,90 Euro

"Meistens grundiere ich mit Kreide..." ; Kunsthalle Hamburg, bis 18. April 2022

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