Süddeutsche Zeitung

Design:Wir versprechen euch nichts

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DDR-Gebrauchsgrafik: In Berlin erinnert eine Ausstellung an die Schönheit im Scheitern - und an Verpackungen, die nicht nerven wollten. Lange her.

Von Jens Bisky

An Werner Klemke kam in der DDR keiner vorbei. Wenn eine sich aus Grimms Märchen oder "Hirsch Heinrich" vorlesen ließ, wenn einer lesen lernte oder Russisch, wenn man in Boccaccios Decamerone blätterte oder zur Zeitschrift Das Magazin mit seinen "künstlerischen Aktfotografien" griff, wenn man eine Briefmarke aufklebte - immer stieß man auf eine Illustration des Berliners Werner Klemke (1917 - 1994),und immer war es eine Freude. Es gab gute Gründe, den DDR-Alltag grau zu nennen, Klemkes Werke waren das Gegenteil: heiter, einfallsreich, charmant, Beispiele hohen handwerklichen Könnens, das er an der Hochschule für Bildende und Angewandte Kunst weitergab.

Harry Lehmann glaubt, dass das Design den Untergang der DDR besiegelte

In einer ungemein aufschlussreichen Ausstellung zeigt das Kreuzberger Museum der Dinge nun Gebrauchsgrafik aus der DDR, Verpackungen, Plakate, Buch- und Schallplattencover, Zeitschriften. Selbstverständlich ist Klemke vertreten mit Titelbildern für Das Magazin und Vorzeichnungen für seinen berühmten Kater.

Das kleine Museum an der Oranienstraße entwickelte sich in den Siebzigerjahren aus konsumkritischen Motiven und in Erinnerung an den Deutschen Werkbund, der seit 1907 für eine vernünftig gestaltete Warenproduktion und Architektur kämpfte. Früh schon nahmen Museum und Werkbundarchiv die Formgestaltung der DDR wahr, schien doch das Design dort stärker an Traditionen der Zwanzigerjahre und der unmittelbaren Nachkriegszeit festzuhalten. Gewiss, technologische Rückständigkeit, Materialknappheit und fehlende Konkurrenz trugen dazu bei, aber ebenso die Absicht, den Werktätigen Qualität zu liefern. Der Minimalismus der Gestaltung gewinnt heute einen eigenen Reiz. Die DDR liegt nun lange genug zurück, um deren versunkene Warenwelt nicht länger nostalgisch oder aburteilend zu betrachten. Der Blick ist frei für gelungene Lösungen, gutes Handwerk, recycling-freundliche, Reparaturen ermöglichende, im Materialverbrauch sparsame Produkte.

Zeitschrift "Das Magazin", Ausgabe 3/1958, Verlag "Das Neue Berlin" Titelgestaltung: Werner Klemke.

Zeitschrift "Sibylle", Ausgabe 1/1986, Verlag für die Frau, Titelfoto: Joane-Bettina Schäfer.

Zeitschrift "Neue Werbung", Ausgabe 2/1975, Verlag Die Wirtschaft Berlin. Titelgestaltung: Peter Petrov, Sofia.

Zeitschrift "form + zweck", Ausgabe 2/1965, Herausgeber Amt für industrielle Formgestaltung. Titelgestaltung: Günter Knobloch.

Spiel "Kost the Ost. Das Etiketten-Quartett", 1996, Eulenspiegel Verlag.

Buch "Wie man Amerika gleichzeitig liebt und verläßt" von John Updike, Taschenbuchreihe "Spektrum", 1989, Verlag Volk und Welt. Entwurf: Lothar Reher.

Schallplatte "Bataillon d'Amour" von Silly, 1986, VEB Deutsche Schallplatten, Amiga. Gestaltung: Bernd Frank, Gert Hof, Titelfoto: Ute Mahler.

Zu sehen sind in der Ausstellung Titelblätter der Fachzeitschriften Neue Werbung sowie form+zweck, die von Gert Wunderlich entworfene Schriftart Maxima; man sieht Bücher aus der Spektrum-Reihe des Verlages Volk und Welt, Theater-Plakate. Ein gestalterischer Höhepunkt ist die Sibylle. Zeitschrift für Mode und Kultur, gestaltet von Axel Bertram, der auch bei Klemke gelernt hatte und am Samstag dieser Woche seinen achtzigsten Geburtstag feiert. Eine dauernde Freude und Provokation zugleich bleiben Verpackungen - die unübertroffene Zigarettenschachtel der Marke Karo, Hüllen für Magnettonbänder und Kassetten von Orwo, Schachteln für Glühlampen, Leuchtmittel von Narva. Eine Freude sind sie, weil die Verpackung allein der Information des Käufers dient, er von emotionaler Ansprache oder über den Gebrauchswert hinausgehenden Versprechen verschont bleibt. Eine Provokation sind sie, weil sie sich über Jahre und Jahrzehnte hin kaum veränderten. Sie besaßen etwas Zeitgeistabweisendes. Wesentlicher Motor der gestalterischen Veränderung waren Wettbewerbe, neue Künstlergenerationen und zunehmend auch die Zwänge der sozialistischen Konsumgesellschaft.

Deren Widersprüche hat der Philosoph Harry Lehmann 2009 in seinem Essay "Warum die Deutsche Demokratische Republik am Design gescheitert ist" nachgezeichnet. Er berichtet, wie auch in der DDR eine auf Individualismus ausgerichtete Konsumkultur entstand, die freilich stark auf gemeinsame Erfahrungen setzte. Er zeigt, wie dieser Konsumindividualismus Ost regelmäßig frustriert wurde. Die Konsumwünsche der Pubertierenden etwa wurden zum unlösbaren Problem: "man hätte sich ja an jenen halböffentlichen Milieus von Künstlern, Rockern, Umweltaktivisten, Fußballfans und Mitgliedern der Jungen Gemeinde orientieren müssen, die nur deshalb geduldet wurden, weil sie weitgehend unsichtbar blieben."

Die Ausstellung will nicht überreden. Sie lädt zum Vergleich ein, der im Werkbund von Anbeginn das bevorzugte Erkenntnis- und Erziehungsinstrument war.

Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR. Werkbundarchiv - Museum der Dinge. Berlin, Oranienstraße 25. Bis zum 3. Juli. www.museumderdinge.de

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Quelle:
SZ vom 23.03.2016
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