Süddeutsche Zeitung

Der Berlinale zum 60.:Glamour zwischen Bombenkratern

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Sommer in der besetzten Stadt: Vor genau 60 Jahren gelang der Berlinale ein furioser Start. Von Anfang an auf politische Wirkung angelegt, hat sich das Publikumsfestival seinen offenen Charakter bewahrt. Schade nur, dass es grauer und frostiger geworden ist.

Joan Fontaine konnte sich glücklich schätzen. So wie die Hauptdarstellerin in Alfred Hitchocks "Rebecca" war vor ihr schon lange kein Star mehr in Berlin gefeiert worden. In einem Blumencorso wurde den Hollywoodstar am 6. Juni 1951 ­ - vor genau 60 Jahren - zur Eröffnung der ersten internationalen Filmfestspiele durch die Stadt gefahren und Tausende Berliner säumten die Straße, um sie zu beklatschen.

Das neugegründete Festival, dem die Kabarettistin Tatjana Sais im Vorfeld den bleibenden Namen "Berlinale" verpasst hatte, sollte nach den schweren Jahren des Wiederaufbaus endlich wieder etwas Glamour in die noch von Bombenschäden gezeichnete Stadt bringen.

Zerstört waren noch viele der größten Kinosäle, weshalb der Titania-Palast im Stadtteil Steglitz zum Festivalhaus erkoren wurde.

Hitchcock selbst war nicht zur Vorstellung seines Psychodramas angereist. Dafür aber sorgte Joan Fontaine für internationales Flair und die Berliner Philharmoniker für einen festlichen Rahmen der Eröffnungsveranstaltung.

Als Austragungsmonat hatte man den sommerlichen Juni gewählt; erst 1978 wurde die Berlinale in den frostig-grauen Februar verlegt, um besser mit Cannes und Venedig konkurrieren zu können. "Anders als diese beiden großen europäischen Festivals wehte nicht zuletzt durch den Alliierten-Status der Stadt ein besonderer politischer Geist durch die Berliner Filmfestspiele", sagt Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek und Leiter der Berlinale-Retrospektive.

Wahre Preisflut

Wenig überraschend sei deshalb auch die politisch motivierte Kritik von Ost-Berliner Seite gewesen.

Nach 13 ereignisreichen Festivaltagen ergoss sich in diesem ersten Berlinale-Jahr noch eine wahre Preisflut über die gezeigten Filme. Nicht weniger als 26 offizielle Auszeichnungen wurden verteilt, darunter auch in den Kategorien "Bester Werbefilm" und "Bester Kunst- und Wissenschaftsfilm".

Die achtköpfige Jury hatte unter den 26 Filmen im offiziellen Wettbewerb den Schweizer Beitrag "Die Vier im Jeep" über alliierte Besatzungssoldaten in Wien als bestes Drama ausgezeichnet.

Das Publikum bevorzugte hingegen die Disney-Zeichentrickproduktion "Cinderella". Mittels Stimmkarten nämlich konnten die Besucher ihren Lieblingsfilm ermitteln.

Damals wie heute war die Berlinale ein erklärtes Publikumsfestival. Besonders beliebt waren in diesen Anfangsjahren die Open-Air-Vorstellungen in der Waldbühne. Die 25.000 Plätzen waren meist ausverkauft. "Die West-Berliner waren zu dieser Zeit sehr selbstbewusste Frontstadtbewohner, die die Symbolwirkung des Festivals sofort verstanden und für sich annahmen", sagt Rother.

Bronzener Bär für Zukunftsvision

Auch die Filmverleiher wussten bereits im Gründungsjahr die Berlinale als publikumswirksame Plattform zu nutzen. Um den Science-Fiction-Film "Endstadion Mond" zu bewerben, spazierten Männer in Astronautenanzügen über den Kurfürstendamm. Am Ende gab es für diese seinerzeit noch spekulative Zukunftsvision über die erste Mondlandung von der Jury einen bronzenen Bären.

Die Erwartungen des Festivalchefs Alfred Bauer wie auch des US-Filmoffiziers Oscar Martay, der die Berliner Filmfestspiele initiiert hatte, hatten sich mehr als erfüllt. Nicht nur die Bevölkerung hatte die Berlinale begeistert aufgenommen, auch die internationale Filmwelt verlor nach diesem furiosen Start ihre anfängliche Zurückhaltung. Im Folgejahr sorgte unter anderem Regisseur Billy Wilder für Glanz und Aufsehen. Heute zählt die Berlinale neben den Festivals in Cannes und Venedig zu den wichtigsten Filmschauen der Welt.

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