Süddeutsche Zeitung

"Das Leben ein Tanz" im Kino:Der Sturz

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Das Kinodrama "Das Leben ein Tanz" erzählt von den geplatzten Träumen einer Pariser Ballerina.

Von Josef Grübl

Die ganz großen Entscheidungen im Leben scheitern oft an der Unvereinbarkeit von Herz und Hirn, von Körper und Köpfchen.

Das weiß auch Elises Papa, der sich einst wünschte, dass die Tochter gutbürgerlich Jura studieren würde. Natürlich vergebens. Als Juristin könne sie ihr Hirn strapazieren und nicht den Körper, sie dürfe ihr Leben lang einen gelernten Beruf ausüben und müsse sich nicht sorgen um die Vergänglichkeit der eigenen Schönheit und Kraft. Sagt der Vater.

Die Tochter aber entgegnet: Ist doch super, dann habe ich zwei Leben, ein körperbetontes und ein anderes. Nicht so super findet sie, dass ihr erstes Leben bereits mit 26 Jahren endet: Elise ist Balletttänzerin in Paris, eine Hochleistungssportlerin also, die bei einer Aufführung stürzt und von ihrer Ärztin mitgeteilt bekommt, dass die Rekonvaleszenz zwei Jahre dauere und sie danach vermutlich nicht mehr tanzen könne. Also doch noch Jura?

Natürlich nicht, denn die jüngste Regiearbeit des französischen Filmemachers Cédric Klapisch ist ein Tanzfilm - und als solcher folgt er den entsprechenden Genrekonventionen. Was erstaunlich ist, da die Storys der meisten (Mainstream-)Tanzfilme recht flach und formelhaft daherkommen. Auch der 61-jährige Klapisch erzählt von den geplatzten Träumen einer Tänzerin, von möglichst gegensätzlichen Tänzen (in diesem Fall klassisches Ballett versus modernes Tanztheater) und einem Neustart, der von einer neuen Liebe begleitet wird.

Was fängt man mit sich an, wenn das alte Leben komplett zusammenbricht?

Ein weiteres "Step Up" oder "Save the last Dance" ist "En corps" (so der französische Originaltitel) aber nicht geworden. Dafür ist Klapisch zu sehr an seinen Charakteren interessiert, an ihren Sehnsüchten, Schwächen, Schrullen. Auch in seinen früheren Filmen wie "Deux moi" oder der "L'auberge Espagnole"-Trilogie waren die Plots zweitrangig, er folgte einfach seinen Figuren, ihren Irrungen und Wirrungen. Gleichzeitig ist der Regisseur tanzbegeistert. Er drehte bereits in der Pariser Oper und im Mariinski-Theater in Sankt Petersburg, begleitete für einen Dokumentarfilm jahrelang die Balletttänzerin Aurélie Dupont.

Dokumentarisch geht es auch los, in den ersten 15 Minuten sieht man Elise, gespielt von der Tänzerin Marion Barbeau in ihrer ersten Spielfilmrolle, bei einer Pariser Aufführung von "La Bayadère" (Die Tempeltänzerin). Sie sitzt am Garderobenspiegel, streift durch die Kulissen, macht Dehnungsübungen und betritt die Bühne. Es folgt eine perfekte Performance, umso brutaler wirkt der Sturz am Ende. Danach müssen sich der Film und seine Darstellerin erst wieder fangen, beide dümpeln etwas ziellos vor sich hin. Elise ist beim Physiotherapeuten, trainiert mit Gips-Fuß und besucht ihren Papa. Sie trifft Freundinnen und verdient sich als Model etwas dazu. Ihr bisheriges Leben war streng durchgetaktet, jetzt weiß sie nichts mehr mit sich anzufangen.

Fahrt nimmt der Film wieder auf, als Elise einen Job als Küchenhilfe annimmt, in einer Künstlerresidenz in der Bretagne. Dort steigen ein Choreograph und seine Tanz-Company ab, die ganz anders arbeiten und tanzen, als sie es bisher kannte. Ihre Bewegungen sind energiegeladen und ekstatisch, als ob ihre Gedanken, Emotionen und Aggressionen direkt durch ihre Körper flössen. "Deine Schwäche ist cool", sagt der Choreograph zur hinkenden Elise, "Schwäche ist die neue Superkraft".

Der aus Israel stammende Choreograph Hofesh Shechter spielt sich selbst, er gilt als einer der interessantesten Köpfe der internationalen Tanzszene. Ähnlich wie Klapisch scheint er seinen Figuren folgen zu wollen, mehr als der Story. Das tut dem Film gut, denn auch auf der Leinwand erzeugen Shechters Arbeiten einen enormen Sog. Sie finde es toll, was diese Company mache, sagt eine Ballettfreundin von Elise, für sie selbst sei das aber nichts. Der Tanz als friedliche Koexistenz also, der Herz und Hirn anspricht, Körper und Köpfchen. Findet sogar Elises Papa. Am Ende steht seine Tochter lebend, leidend und tanzend auf der Bühne. Und er weint.

En corps, Frankreich 2022 - Regie: Cédric Klapisch. Buch: Cédric Klapisch, Santiago Amigorena. Kamera: Alexis Kavyrichne. Schnitt: Anne-Sophie Bion. Mit: Marion Barbeau, François Civil, Hofesh Shechter. Studiocanal, 118 Minuten. Kinostart: 8. September 2022.

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