Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Maskenball und Quarantäne

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Der Karneval in Venedig ist abgesagt. Schon vor 300 Jahren wurden Feierwütige enttäuscht - damals allerdings wegen der Pest.

Von Rudolf Neumaier

Das Coronavirus ist mit der Pest verglichen worden, es liegt nahe. Auch Albert Camus' gleichnamiger Roman aus dem Jahr 1947 ist dazu schon ins Feld geführt worden. Wobei die Pest bei Camus eine allegorische Funktion hat, darüber war sich die Literaturwissenschaft von Anfang an im Klaren. Sie symbolisiert das Böse im Menschen, das der französische Philosoph identifizierte, nachdem es wenige Jahre zuvor von Deutschland aus in Europa verheerend um sich gegriffen hatte. Die Handlung von Camus' Werk basiert auf reiner Fiktion, in der Geschichte finden sich aber auch reale Parallelen zwischen früheren Epidemien und dem Ausbruch des Virus Sars-CoV-2, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann. Dass in Italien Städte abgeriegelt werden, dass in Venedig der Karneval abgesagt wird, dass Österreich am Sonntag den Zugverkehr nach Italien vorübergehend eingestellt hat - all das hat sich vor 300 Jahren schon einmal auf eine sehr ähnliche Weise abgespielt. Eine ganze Siedlung von ihrem Umland ab- und ihre Bewohner in ihre Stadtmauern einzusperren, eine solche Maßnahme hat eine geradezu biblische Dimension.

Im frühen 18. Jahrhundert konnte es für Reisende aus dem Norden mitunter schwierig werden, in italienische Städte zu gelangen. Die Pest grassierte. Ihren Karneval wollten die Venezianer deswegen nicht gleich abblasen, aber wer von auswärts kam, musste eine Schleuse überwinden. Wo Faschingsfreunde aus München oder Regensburg zum Feiern heute nach Köln fahren, war damals Venedig angesagt, wenn man es sich leisten konnte. Der bayerische Kurprinz Karl Albrecht wollte im Februar 1716 erleben, wovon in ganz Europa geschwärmt wurde: die sagenumwobenen Maskenfeste in der Serenissima.

In bester Feierlaune überquerte Karl Albrecht im Dezember 1715 die Grenze Veneziens. Doch in Verona wurde er gestoppt. Wie in einem Tagungsband der Musikwissenschaftlerin Andrea Zedler und des Historikers Jörg Zedler beschrieben ist, musste sich der Prinz samt seinem stattlichen Tross von 70 Begleitern in Quarantäne begeben. Mal dezente, mal erboste Beschwerden unter Hinweis auf seinen fürstlichen Rang ignorierte Venedig. Statt in einem Lazarett auszuharren, durfte der Jüngling aus Bayern immerhin einen Palazzo in der Nähe von Verona beziehen.

Wenn die Italiener heute etwas aus dieser Geschichte lernen können, dann ist es ihre vorbildhafte Unbeugsamkeit. Sie ließen den Gast 40 Tage lang warten, so sehr er auch bat und bettelte und über die Freiheitsberaubung klagte. Doch seine Vorfreude auf den Karneval blieb über all die Wochen größer als der Verdruss in der Quarantäne. Erst als sich die Venezianer wirklich sicher sein konnten, dass er ihnen keine Pest einschleppen würde, durfte Karl Albrecht einreisen. Am 3. Februar 1716 kam er an. Noch am selben Tag ging er in die Oper, "Il Germanico" von Carlo Francesco Pollarolo stand auf dem Programm. Bis Aschermittwoch war der Münchner 16-mal im Theater, danach wurde bis weit in die Nächte hinein gefeiert.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2020
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