Süddeutsche Zeitung

Bruckner DVD:Null und Doppel-Null

Lesezeit: 2 min

Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker bringen alle Symphonien Anton Bruckners auf DVD heraus.

Von Egbert Tholl

Als er diese DVD auf der Presseterrasse der Salzburger Festspiele präsentierte, schaute Christian Thielemann wie ein kleines Kind an Weihnachten, das ins Wohnzimmer lugt, obwohl noch gar nicht Bescherung ist. Das Geschenk machte er sich selbst, zusammen mit den Wiener Philharmonikern: Den Mitschnitt der Aufführung eines Stücks, das kaum jemand kennt, ja von dessen Existenz bislang kaum jemand wusste: Bruckners Doppel-Null.

Klingt gaga, stimmt aber. Anton Bruckner hinterließ offiziell neun Symphonien, jede davon in verschiedenen Fassungen. Dazu kommt die sogennante "Nullte", die eigentlich die zweite ist, von Bruckner selbst aber als "ungiltig" verworfen wurde. Überlebt hat sie dennoch. Ebenso wie die "Studiensymphonie" in f-Moll. Das ist nun wirklich die erste Symphonie, die Bruckner schrieb, im Jahr 1863, als er, knapp 40 Jahre alt (Bruckner war nie der schnellste gewesen), den Unterricht bei Otto Kitzler beendete. Kitzler bezeichnete das Werk als "nicht besonders inspiriert", Christian Thielemann nennt es "ein ganz frühes, verkanntes Meisterwerk". Und spielte es nun zusammen mit den Wienern ein, Beginn der Gesamtedition aller Bruckner-Symphonien auf DVD.

Tatsächlich ist es ein wunderbarer Einstieg in Bruckners Klangkathedralenwelt. Man kann erspüren, was dieser später an wuchtigen Riesengebilden erschaffen wird, doch noch ist beispielsweise der erste Satz durchdrungen von einer lichten Sanglichkeit, man könnte auch sagen, von einer Menschfreundlichkeit. Richtig sympathisch. Der zweite Satz, kein Adagio, sondern ein Andante, also bewegter als die späteren langsamen Sätze, die Bruckner schrieb, ist ein langes Lied, atmet Natur, beginnt scheu und neugierig, mit einem langen Grollen der Pauken formiert sich der Klang wie eine Gewitterfront, die schnell vorbeizieht und ein weiches, warmes Licht freilegt.

Es herrschte noch Corona, und es war "ein historischer Tag im Musikverein", so Thielemann. "Man freute sich auf jede Probe wie ein Kind." Auf der DVD sieht man einen leeren Saal und ein hochkonzentriertes Orchester, das mag irgendwann einmal auch als Zeitdokument einer pandemische Epoche gelten. Historisch war der Tag für Thielemann, weil an diesem "zwei neue Symphonien" gespielt wurden, Null und Doppelnull. Neu waren diese natürlich nur für die Konstellation Thielemann/Wiener Philharmoniker, sei's drum, die Aufnahme der Studiensymphonie ist ja tatsächlich eine Novität. Und dann gleich Referenz, weil Thielemann und die Wiener sehr gut miteinander können, sogar wenn sie "ins wilde Tierreich vorstoßen" (Thielemann). So nennt Thielemann Erkundungen neuer Werke, auch wenn sie von einem Komponisten stammen, dessen Œuvre wohl kaum jemand so gut kennt wie er. Mitte kommenden Jahres werden dann alle elf Bruckner-Symphonien auf DVD vorliegen (Unitel).

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5646125
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.