Süddeutsche Zeitung

Frankfurter Buchmesse:Der Betrieb ist zurück

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Es werden wieder Menschen kommen zur Frankfurter Buchmesse, das ging mit der feierlichen Verleihung des deutschen Buchpreises gleich los. Auch das Gesprächsthema der kommenden Tage ist gesetzt.

Von Miryam Schellbach

Jede Kunst hat ihre eigene Szene. Das Kino hat seine Cineastinnen, das Theater seine Zuschauer, das Museum seine Besucherinnen. Und was hat die Literatur? Natürlich hat das Buch seine Leser und Leserinnen. Und dann gibt es da auch noch den Literaturbetrieb. Schon mit diesem nach Güterverkehr und Produktionsverhältnissen klingenden Wort gibt es Schwierigkeiten: Wie groß der Kreis der Eingeweihten in diesem Unternehmen mit dem Namen Literatur ist, wirkt uneindeutig. Lektorinnen und Verlagsmitarbeiter, ja, die zählen schon dazu. Schwieriger wird es bei den in den letzten Jahren zu Scharen auftauchenden Buch-Bloggern, ganz zu schweigen von den unzähligen Praktikantinnen und Volontären, die den - eine weitere Unternehmensmetapher - "Laden" ja schließlich am Laufen halten. Und weil so unklar ist, wer alles zu dieser Produktionsgemeinschaft gehört, ist die Frankfurter Buchmesse, das wichtigste Buchtreffen der Welt, eine Art Schaulaufen der Branche, eine Familienfeier, eine bibliophile Selbstversicherung.

Die Verleihung des deutschen Buchpreises ist traditionell der Auftakt der Buchmessewoche. Wegen der Pandemie und unter großem Klagen war das jährlich im hochherrschaftlichen Kaisersaal des Frankfurter Römers stattfindende Gesellschaftsereignis im letzten Jahr zu ein paar an lahmen Stehtischen zuschauenden Kritikern zusammengeschnurrt. Dieses Jahr wollte sich der Betrieb seinen Glanz mit immerhin 160 zugelassenen Gästen zurückerobern.

Außerdem waren da noch die strengen Blicke der 52 Kaiser, die den Saal schmücken, angefangen von Karl dem Großen bis zu Franz II. Darunter hatten die sechs Shortlist-Autoren und -Autorinnen Platz genommen. In ihrem Rücken die verlegerische Entourage, allen voran der Hanser-Verlag, der mit gleich drei nominierten Büchern ungleich starke Chancen auf den Preis hatte, aber leer ausging.

Das schillernde Modewort Identitätspolitik ist in aller Munde. Das ist unfreiwillig komisch

Darüber, ob der ebenso für den Preis nominierte Christian Kracht überhaupt anreisen würde, hatte es im Vorfeld Wetten gegeben. Schließlich hatte er gerade seine Nominierung für den Schweizer Buchpreis abgelehnt und gilt auch sonst als grundsätzlich indifferent dem literarischen Preisgeschehen gegenüber. Nicht von seiner Seite wich der Editor-at-Large, sein ehemaliger Kiepenheuer-&-Witsch-Verleger und immer noch Lektor Helge Malchow, der schon vor der Preisvergabe anmahnte, man dürfe sich bei der Beurteilung literarischer Qualität niemals von politischen Kriterien leiten lassen.

Mit Blick auf die Liste der Nominierten scheint diese Warnung ihre Dringlichkeit zu verlieren. Die Vielfalt der literarischen Tonlagen wurde denn auch in hohen Tönen gelobt. Selbst der Siegerroman "Blaue Frau" von Antje Rávik Strubel ist schließlich alles andere als ein identitätspolitisches Manifest. Doch schien Malchow mit seiner Sorge den Ton des Abends angeschlagen zu haben. Das schillernde Modewort Identitätspolitik ist in aller Munde. Und gerade indem sich die Anwesenden ständig versichern, dass sie nicht wichtig sein sollte in der Literaturbranche, machen sie sie zum Salonthema schlechthin. Zumal an diesem Abend zum Auftakt der Messe oft schon einmal die dominante Diskussion der kommenden Buchtage gesetzt wird.

Die Moderatorin Cécile Schortmann bittet gleich zur Eröffnung eindringlich darum, an diesem Abend nicht die Kategorien, sondern die Werke für sich sprechen zu lassen. Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig möchte nicht, dass Bücher sich nur mit gewissen Themen befassen, gemeint sind damit politische Gegenwartsfragen. Polyphon wird an diesem Abend die künstlerische Autonomie des Buches besungen. Gegen wen sich diese anti-identitätspolitische Beschwörung richtet, bleibt vage. Antje Rávik Strubel, die in ihrer Dankesrede darauf besteht, "Schriftstellerin" und nicht "Schriftsteller" genannt werden zu wollen, und sich dann auch noch für das Gender-Sternchen begeistert, wird wohl nicht gemeint sein. Schließlich hat sie ja gerade unter tosendem Applaus den wichtigsten deutschen Buchpreis erhalten.

Vielleicht ist es das, was den Betrieb zusammenhält: Ein Thema, das sich von den Bühnen auf die Stehtische überträgt, das die Verlegerinnen genauso beschäftigt wie die Praktikanten. So hört man es aus einigen Ecken "Identität" tönen an diesem Abend. Auch später, als sich die Runde um eine immer noch sichtbar gerührte Antje Rávik Strubel in die Römerhallen verlagert hat, bricht das Gespräch darüber nicht ab. Und je später der Abend, umso undeutlicher wird, in welche Zeiten man sich zurücksehnt, in denen es gelungen wäre, Politik von der Literatur fernzuhalten.

Dass politische Inhalte und ästhetische Qualität Hand in Hand gehen können, hat die in den letzten beiden Jahren mit dem Buchpreis ausgezeichnete Literatur gezeigt, Saša Stanišić mit "Herkunft" und Anne Weber mit "Annette, ein Heldinnenepos". Das zeigt auch jetzt Strubels "Blaue Frau". Wenn sich daraus eine Tendenz ablesen lässt, dann höchstens die: Politische Fragen können, genau wie alle anderen, das Thema eines guten Buches sein. Ob ein Buch aber gut ist oder nicht, hängt von anderen Eigenschaften ab.

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