Süddeutsche Zeitung

Brexit:Singapur an der Themse

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Die Freihäfen, die Boris Johnson nach dem Brexit einführen will, könnten sich als Paradies für jede Art von Kunstkriminalität erweisen.

Von Alexander Menden

Im vergangenen Monat, kurz nachdem er sein Amt als britischer Premierminister angetreten hatte, kündigte Boris Johnson als Teil seiner Post-Brexit-Strategie die Einrichtung von zehn Freeports im Vereinigten Königreich an. Dies werde "das Wachstum ankurbeln und Tausende Jobs für hochqualifizierte Arbeitskräfte in benachteiligten Landesteilen schaffen", versprach Johnson. Eine Initiative, die teilweise auf sehr positives Echo stieß. So zeigte sich ein Sprecher des Hafens von Bristol hocherfreut: Die Zollfreilager hätten sich "als erfolgreiches Mittel erwiesen, um Investitionen und Arbeitsplätze an einer Reihe von Standorten auf der ganzen Welt zu fördern". Sie böten "das Potenzial, die Zahl der Arbeitsplätze weiter zu erhöhen und den Wohlstand zu steigern". Seit diesem Monat gibt es im Handelsministerium ein eigenes Beratergremium, das sich allein der Einrichtung von Freeports widmen soll.

Aus Sicht des Kunsthandels sind Freeports eine Grauzone. Sie liegen zwar auf dem Gebiet eines Staates, zollrechtlich aber außerhalb. Hier werden keine Einfuhrkosten erhoben, wer hier was lagert, ist von außen sehr schwer zu ermitteln. Für die Briten ist der Kunstmarkt ein wichtiger Wirtschaftsbereich - weit wichtiger als etwa für Deutschland. Allein 2018 wurden auf der Insel mit Kunsthandel rund 14 Milliarden Dollar umgesetzt, mit entsprechenden Steuereinnahmen.

Die Freeports würden diesen Einkünften jedoch nichts hinzufügen, ihre Attraktivität beruht ja gerade auf Steuervermeidung. Aus Sicht des Kunsthandels ginge es daher wohl vor allem darum, dass das Großbritannien als Umschlagplatz für Kunstwerke aus Drittländern außerhalb der EU attraktiv bleibt, mit niedrigen Steuern, wenig Papierkram und ohne allzu strengen Kontrollen des Woher und Wohin. Teile der britischen Berichterstattung suggerieren, dass EU-Regularien Freihäfen bislang verhinderten. Das ist nicht der Fall. In der EU existieren rund 80 Freeports, obwohl ein Bericht des Europäischen Parlaments im vergangenen März zu dem Ergebnis kam, dass diese allmählich abgeschafft werden sollten. Tatsächlich gab es von 1984 bis 2012 auch britische Freeports, in Liverpool, Southampton, Tilbury, Sheerness und am Flughafen Prestwick. (Auf der Isle of Man, für die als "crown dependency" andere Regeln gelten, gibt es noch immer einen.)

2014 wurde in einem Genfer Freeport Raubkunst im Wert 9 Millionen Euro beschlagnahmt

Dass die Zollfreizonen vor sieben Jahren abgeschafft wurden, lag an der zunehmenden Sorge, sie könnten für Steuervermeidung und Geldwäsche missbraucht werden. Ein Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments vom Oktober vergangenen Jahres bestätigte genau diese Risiken. Daher meldet der auf Sicherheitsfragen spezialisierte britische Thinktank "Royal United Services Institute" (RUSI) jetzt angesichts der Regierungspläne auch ernste Bedenken an: Freihäfen böten zwar zweifellos "interessante Geschäftsvorteile", doch in jüngster Zeit habe die UNESCO immer wieder vor dem florierenden Handel mit gestohlenen Antiquitäten gewarnt, die über Freihäfen gelagert und verschifft wurden. Ein besonders spektakulärer Fall waren die als Raubkunst identifizierten archäologischen Relikte im Wert von bis zu 9 Millionen Euro, die 2014 im Genfer Freeport beschlagnahmt wurden.

In Wirklichkeit geht es Boris Johnson und seiner Handelsministerin Liz Truss wohl auch gar nicht so sehr um die Etablierung von Freihäfen wie in Luxemburg und Genf, die als Lagerungsfestungen fragwürdig erworbener Kunst gelten. Das Vorbild sind vielmehr "foreign trade zones" in Singapur und den Vereinigten Staaten. Hier können Produkte hergestellt und Import-Export-Aktivitäten betrieben werden, ohne dass die im Rest des Landes für Rohstoffe, Waren und Dienstleistungen anfallenden Zölle und Steuern erhoben werden. So sollen Investoren angezogen und Arbeitsplätze geschaffen werden. Untersuchungen von RUSI haben gezeigt, dass diese geringe Kontrolle reichlich Gelegenheit bietet, hier illegale Waren herzustellen, zusammenzubauen, umzuladen, neu zu etikettieren und zu verpacken. Zudem werden von hier häufig Waren direkt in andere Länder geschmuggelt, unter Umgehung der Gesundheits- und Sicherheitsstandards, von Einfuhr- und Mehrwertsteuern ganz zu schweigen.

Der Innenpolitische Sprecher der Labour-Opposition, Barry Gardiner, beschreibt diese mögliche Zukunft als "Unterbietungswettbewerb", angesichts dessen sich "Geldwäscher und Steuerhinterzieher die Hände reiben". In jedem Falle würde es in die Vision jener Brexit-Befürworter passen, die von einem "Singapur an der Themse" träumen.

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SZ vom 17.08.2019
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