Süddeutsche Zeitung

Architekturskizzen:Ich zeichne, also denke ich

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Der Bleistift war einst das wichtigste Medium der Baukunst - heute ist es die künstliche Intelligenz. Brauchen wir überhaupt noch die Architekturskizze? Und wie.

Von Gerhard Matzig

Es sind zwei Superstars aus der heroischen Abteilung des Stararchitekten-Universums. Wobei man sich den einen, Norman Foster aus London, 84 Jahre alt, möglicherweise als Superman vorstellen könnte, während der andere, Wolf Prix aus Wien, 77 Jahre alt, Batman oder der Joker wäre. Wenn Prix lacht am Telefon, denkt man eigentlich immer gern an den Joker. Jedenfalls: Von Foster gibt es ein Zitat, das von der Vergangenheit handelt und das so bekannt ist, dass man sich fragt, ob man das jetzt eigentlich ernsthaft noch mal bringen soll; und von Prix gibt es ein Zitat, das von der Zukunft handelt und das so unbekannt, aber auch so brisant ist, dass man sich fragt, ob man das jetzt eigentlich ernsthaft bringen soll.

Foster sagt: "Jeder hat seine eigene Vorstellung von der Hölle. Für mich wäre das ein Ort, wo ich keinen Bleistift mehr bekäme. Ich zeichne und schreibe ununterbrochen - in Taxis, im Flugzeug, wo immer ich gerade bin, wenn ich warten muss oder auf der Fahrt."

Walter Gropius scheiterte am Zeichnen. Zaha Hadid machte daraus eine Kunst

Prix sagt dagegen, vor wenigen Tagen erst: "Mein bester Mitarbeiter ist die KI, künstliche Intelligenz." Dann erzählt er, dass nun schon beinahe alle Projekte seines weltweit stilprägend tätigen Büros Coop Himmelb(l)au im Computer erfasst sind, sodass ein schlauer Algorithmus für jede Bauaufgabe an jedem Ort einen typischen, sozusagen authentischen Prix-Entwurf ausspucken kann. In kürzester Zeit. Ohne Bleistift. Ohne Hand. Ohne Herz. Womöglich auch ohne Hirn. Aber natürlich auch ohne retrospektive Nostalgie.

Der zeichnend über dem Papier oder der Serviette sinnende, genial umwolkte Baukünstler ist ein Leitbild der Moderne: Frank Lloyd Wright und sein Zeichnen mit Hut; Oscar Niemeyer, der mit Blick auf den Strand von Rio die Häuser so schwunghaft schön wie schwunghaft schöne Strandkörper zeichnet; Walter Gropius, der gar nicht zeichnen kann und seiner Mutter brieflich gesteht, er werde es ja doch nie lernen - was zutreffend ist; Daniel Libeskind, der das Jüdische Museum in Berlin auf dem Blatt seines Terminkalenders entwirft. Schließlich Zaha Hadid, die aus der Architekturzeichnung eine eigene Kunst macht. Die Baugeschichte ist voller Menschen, die Papier und Stift lange vor Maus und Rechner zu Bedeutungsträgern machten. Oft ist es ja die Hand, die klüger und sehender ist als der Kopf. Und heute also: KI.

Eigentlich könnte das der Planerhimmel der Effizienz inmitten der in Serie produzierten Star-Architektur sein, wie sie überall herumsteht. Aber auch Prix, der Joker der Architektur, weiß ganz genau, dass dies am Ende nur in die Hölle artifizieller Banalität führt. Deshalb sagt er: "Die Architekten schaffen sich gerade selbst ab." Und dann lacht er am Telefon, und man lacht mit, während einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

Der Wettkampf der Systeme ist denkbar ungleich: Bleistift gegen KI, Aquarellpapier gegen Bit und Byte - und am Ende stehen sich unfertige Skizze und vollendeter 3-D-Druck gegenüber. Das architektonische wie das stadträumliche Entwerfen hat sich zuletzt im Zuge der Digitalisierung radikal verändert. Das ist zwangsläufig evolutionär, alles andere wäre gestrig. Doch nun, da die Architekturstudenten an den Hochschulen, Akademien und Universitäten kaum noch im freien Zeichnen unterrichtet werden, zeigt sich allmählich die Schattenseite dieser Entwicklung.

Das analoge Zeichnen scheint der digitalen BIM-Baukultur - ein besonders präpotentes Phänomen der Softwarekreuzzüge: Building Information Modeling - zunehmend zu fehlen. Und zwar so sehr, dass erste Bemühungen im Gang sind, der Zeichnung zu einer Renaissance zu verhelfen. Der Bleistifthärtegrad 4 B könnte ein Comeback erleben. 4 B: Damit lässt sich herrlich beseelt die schiere Raumlust aufs körnige Papier zittern. Um - erschöpft vom Akt der Schöpfung - Marginalien wie Statik, Baubarkeit, Baurecht, Kosten und Termine subaltern uninspirierten Bedenkenträgern zu überlassen. Ein Genie aber ist, wer mit dem Stift verzaubern kann. Es war eine zarte Skizze, die erst später zum Rendering geronnen ist, aus der etwa das Wunder der Elbphilharmonie von Jacques Herzog und Pierre de Meuron erwuchs.

Wer heute einen studentischen Entwurf zum Wohnen zu korrigieren hat, der wundert sich bisweilen, warum Architekturstudenten das Wohnen noch mehr banalisieren, versimpeln und in jeder Weise frei von räumlicher Qualität entgeistigen - wie es mittelständische Wohnimmobilienfabriken auch tun. Die Antwort ist ernüchternd. Studenten, die des Zeichnens, frei und als Plan, kaum mächtig sind, entwerfen meist das, was ihre CAD-Kompetenz hergibt. Das ist das "computer-aided design", das eher öfter das rechnerunterstützte Konstruieren nach Norm und eher seltener das freie rechnerunterstützte Denken meint.

Doch es gibt Ansätze, das Zeichnen, das schon längst fast überall aus den Lehrplänen der Architektur wie auch aus den Büros selbst verschwunden ist, zu reanimieren. Das Düsseldorfer Büro RKW Architektur + (Rhode Kellermann Wawrowsky) lobt beispielsweise jährlich den Helmut-Rhode-Preis zur studentischen Förderung der Zeichnung als Entwurfsmittel aus, weil man sich dort die Frage stellt, "ob unter Studenten die Handskizze durch CAD immer mehr an Bedeutung verliert". Und: "Schränken die begrenzten Maße des Bildschirms vielleicht sogar den Entwurfsprozess ein?" Im letzten Jahr hat Katrin Krones mit ihren filigranen, zugleich suggestiv wirksamen Federzeichnungen zu einer imaginären vertikalen Stadt als Ort des Utopischen einen Preis errungen. Auch in diesem Jahr können sich Studenten um die Auszeichnung bewerben.

Selbst im Ausstellungsbereich sind wieder öfter Zeichnungen zu sehen. Ende des Monats wird zum Beispiel in Würzburg eine BDA-Schau über "Pläne und Entwürfe Würzburger Häuser 1920 - 2020" eröffnet. Der Architekt Rainer Kriebel, der die Ausstellung kuratiert, sagt: "Architektur entsteht zunächst am Zeichentisch." Auch deshalb hat in Berlin vor einigen Jahren Sergei Tchoban als leidenschaftlicher Zeichner und Sammler von Architekturzeichnungen das "Museum für Architekturzeichnung" realisiert. Dort sind immer wieder anregende Schauen zu sehen - ab 7. März wunderbarerweise auch eine über historische Architekturdarstellungen in Sankt Petersburg.

Solche und ähnlich verdienstvolle Bemühungen um die vergegenwärtigende Kunst der Architekturzeichnung machen sich immer öfter bemerkbar in der Baukultur. Zu Recht. Denn wie bei der ebenfalls lange vernachlässigten Schreibschrift in der Schule, wo Studien zeigen konnten, dass es einen innigen Zusammenhang zwischen feinmotorischen und intellektuellen (Un-)Fähigkeiten gibt, ist es auch mit der architektonischen Handzeichnung. Das Denken verbindet sich mit dem Zeichnen zu einer Komplexität, in der das Ganze mehr ist als die Summe der Teile. Dass aber dem Zeichnen als im Wortsinn begreifendem Medium eine Renaissance zu wünschen ist, lehrt schon der Blick in die Banalität heutiger Architektur, in der man oft nur Nullen und Einsen erkennen kann. Manchmal auch nur Nullen.

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SZ vom 15.02.2020
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