Süddeutsche Zeitung

Architektur in Berlin:Ecce Pomo

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Berliner Postmoderne in Ost und West: Eine Ausstellung über Architektur der 80er-Jahre.

Von Peter Richter

Berlin hässlich zu finden - also nicht nur zu grob, zu verhipstert oder zu schlampig verwaltet, sondern an vielen Stellen einfach nur optisch unansprechend -, ist weder schwer noch besonders originell, sondern eher ein Topos. Der lässt sich zwar immer wieder mal zu einer Wertschätzung der Härten, Brachen und Brandwände umbiegen, zu einer Ästhetik aus Ätsch und Trotzdem. Aber ungebrochen schwärmerische Äußerungen sind über die Stadt in allen Zeiten eher rar gewesen, trotz der vielen namhaften Baumeister hier oder auch gerade deswegen. Denn die hatten ja oft am meisten zu bemängeln, schon aus beruflichem Ehrgeiz. Und wenn sie mit ihren Verbesserungen oder Radikalkuren dann der Stadt eine weitere Schicht hinzugefügt hatten, die umgehend als neuer Gipfel der Trostlosigkeit wahrgenommen wurde, rehabilitierte das zumindest ein wenig die vorherigen. Dieses Phänomen lässt sich zwar auch anderswo beobachten, aber naturgemäß nirgends so dicht und so gut wie in der Hauptstadt der Dialektik.

Die Berlinische Galerie hat diese Zyklen von Verdammnis und Wiederaneignung immer wieder mal in den Blick genommen. Und das ist schon deswegen segensreich, weil Hässlichkeit in diesem Fall ja nicht nur subjektives Geschmacksempfinden ausdrückt, sondern durchaus gesellschaftspolitische Stimmungslagen. Im Moment finden hier zum Beispiel viele Menschen üppige Videogegensprechanlagen, gläserne Außenfahrstühle und angeklebte Blechbalkons durchaus hässlich im Sinne von hassenswert, und zwar weniger weil diese Dinge stilistisch ein Haus oft eher versauen als aufwerten, sondern weil sie in erster Linie der saftigen Mietensteigerung dienen oder wie manche auch sagen: der Mieterverdrängung. Der sogenannte Altbaucharme, von dem die Makler nach erfolgreicher Heraussanierung lästiger Altlasten in ihren Exposés so gerne säuseln, ist dann zwar in der Regel ebenfalls verschwunden, weggeweißelt und verplastikfenstert. Aber vielleicht hilft es, daran zu erinnern, dass diese Berliner Altbaukieze, die den Immobilienmarkt zurzeit so ins Delirium treiben, schon kurz nach ihrer Erbauung als zynischer Horror galten, die Fassaden des Kurfürstendamms als barbarischer Kitsch und selbst viele Grunewaldvillen als geschmacklose Sahnetorten. Das "steinerne Berlin", das sich die Planungsverantwortlichen nach dem Mauerfall hier zum Motto gemacht hatten, war ursprünglich ja mal als Schimpfwort zur Welt gekommen, und die später als unwirtlich empfundenen Neubausiedlungen mit Abstandsgrün galten als schöne und praktische Alternative. Als die Berlinische Galerie vor ein paar Jahren das Bauen der Spätmoderne in Berlin zum Thema machte, traf das deshalb nicht ganz zufällig auf eine Stimmung, in der die schon halb zu Tode geschmähten Großwohnsiedlungen in West- wie Ostberlin wegen der Mietmisere auf einmal auch aktuell wieder in deutlich milderem Licht dastanden.

Oft sieht man an den Modellen besser, was gemeint war, als da draußen

So weit, so halbwegs übersichtlich, dieses Hin und Her, aber was machen wir jetzt mit den Bauten der sogenannten Postmoderne in West- wie Ostberlin, diesem großen, scheppernden Sowohl-als-auch? Mit "Anything Goes? Berliner Architekturen der 1980er Jahre" hat sich das verdienstvolle Haus in Kreuzberg ein Thema vorgenommen, das immer noch auffällig unverdaut im Magen dieser Stadt herumrumort. Einerseits noch gar nicht lange her, anderseits oft schon jetzt nicht so richtig gut gealtert. Vieles schon wieder abgerissen, und trotzdem fällt es immer noch schwer, damit wirklich warm zu werden.

Schön, wenn einem da gleich am Anfang einer vorführt, wie man sich auch umstimmen lassen kann. Es läuft dort ein Film von Harun Farocki aus dem Jahr 1981, in dem er über Bilder vom kriegszerstörten Berlin hinweg erklärt, dass für ihn lange das Neue automatisch auch das Schöne gewesen sei, das Alte hingegen das Hässliche, Böse, Autoritäre. Stuck und Schnörkel waren ihm sozusagen wie Fesseln und Fuchteln. Er sprach da sicher für viele, die in den Nachkriegsjahrzehnten jung waren. Aber dieser moralisch-ästhetische Simplizismus wurde ab den Sechzigern erschüttert.

Auf einmal ist die Münchner Fotografin Elisabeth Niggemeyer im Bild, die bei dem legendären Buch "Die gemordete Stadt: Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum" den wichtigeren Part spielte als ihr Co-Autor Wolf-Jobst Siedler. Denn der konnte zur Not noch als notorischer Konservativer abgetan werden. Niggemeyers Fotos aber hatten eine unabweisbarere Evidenz in ihrer Gegenüberstellung von urbaner Lebendigkeit in den alten Kiezen und frostigem Durchgangsverkehr zwischen abweisenden Neubauzeilen. Zumal sie in dem Film auch erklärt, dass es ihr weniger auf die Putten an der Fassade ankomme, als auf die Möglichkeit eines städtisch durchmischten Lebens dahinter. Noch später sieht man in dem Film Janos Frecot, den damaligen Leiter der Fotosammlung der Berlinischen Galerie, wie er mit historischen Aufnahmen Häuserreihen zu rekonstruieren versucht, die damals noch unbekümmert weggerissen wurden, während in Kreuzberg die Hausbesetzer gegen eine Kahlschlagssanierung ankämpften, die unter anderem Platz schaffen sollte für einen Autobahnableger bis hoch zum Tiergarten. Es ist inzwischen leider nötig, immer mal wieder daran zu erinnern, dass es maßgeblich linke bis linksradikale Kräfte waren, die sich hier das Bewahren des Alten gegen einen Filz aus Politik und Bauwirtschaft auf die Fahnen geschrieben hatten. Eine nicht mehr ganz so dialektisch informierte Sicht schiebt alles Restaurative heute ja gerne simplifizierend den Rechten zu.

Was im Rahmen so einer Ausstellung nun interessant ist, ist aber weniger der Erfolg jenes Teils der Internationalen Bauausstellung von 1987, die als "Altbau-IBA" ein unabweisbarer Erfolg wurde, nämlich die Wiederinstandsetzung ganzer Häuserblocks in Kreuzberg, gespiegelt in zwei ähnlichen Modellprojekten in Ost-Berlins Altbauquartieren von Mitte und Prenzlauer Berg. Verblüffender sind in dieser Ausstellung die vielen Originalmodelle des anderen Teils, der sogenannten Neubau-IBA. Denn diese Häuser sollten an die Typologien und Morphologien (beides unverzichtbare Vokabeln damals, ohne die Codeworte Typologie und Morphologie gab es für einen Architekten damals vermutlich keinen Tisch in der Paris Bar) des alten Berlin anknüpfen, allerdings mit den Mitteln und Materialien der Gegenwart. Und mit den Budgetschranken des sozialen Wohnungsbaus. Daher Betonröhren als Säulen, Blech-Efeu als gliederndes Ornament und simple Stanzquadrate statt der an Berliner Altbauten ja oft besonders leptosomen Fenster. Oft sieht man nun eher an den Modellen, was gewollt und gemeint war, als da draußen, wo diese Bauten heute mit ihren Regenschlieren doch oft etwas verheult in den Straßen stehen.

Sensationell auch die Modelle von all dem, was nicht zustande kam. Daniel Libeskinds schräg in den Boden gehauenes Hundertmeter-Brett, die "Stadtkante". Wäre vielleicht heute noch ganz aufregend, so als Eingang zum Gleisdreieckspark. Oder das, was Hans Hollein mal für das Kulturforum geplant hatte: Säulengänge und "City Kloster" und "Bibelturm", eine Art postmodernes Rom, aber bei all seiner armanihaften Schulterpolsterigkeit vermutlich deutlich günstiger als die betont schlichte 500-Millionen-Scheune, die Herzog und deMeuron dort nun hinbauen. Und natürlich Aldo Rossis Modell für das Deutsche Historische Museum im Tiergarten: ein Riesenauffahrunfall zwischen einem Tempel, einer Fabrik, einer Kathedrale und einem Weihnachtsmarkt. West-Berlin hatte schon manchmal auch Glück mit dem Mauerfall, der dann manches nicht mehr zustande kommen ließ.

Die Postmoderne erwies sich in der Praxis oft als verblüffend eng, verbohrt und unpraktisch

War es wiederum eher ein Unglück, dass der Mauerfall die Ost-Berliner Planungen entlang der Friedrichstraße ein Ende bereitete? Das Geld reichte dafür allerdings schon vorher nicht wirklich. Aber jedenfalls herrlich, hier mal am Stück zu sehen, wie das am Ende hätte werden sollen. Da, wo heute zum Beispiel die Berliner Redaktion der SZ in einem betont geradlinigen Bürobau der Nachwendezeit sitzt, war demnach ein ziemliches Spektakel geplant. Wenn das noch fertig geworden wäre, hätte dieser Text hier in einem irren Versailles aus Plattenbauteilen entstehen können. Das große Friedrichstraßenmodell aus der Bauverwaltung der DDR ist am Ende das zentrale Exponat dieser Ausstellung. Aber im Grunde ist tatsächlich alles im Wortsinn spektakulär, was in dieser Ausstellung mit dem Ostteil der Stadt zu tun hat, der "Hauptstadt der DDR", wie es auf einem Plan noch in den selbstbewusst serifenlosen Lettern der Moderne lautet. Direkt darunter steht nämlich schon in feiner Schnörkelschrift: "Rekonstruktion historischer Gebäude rund um die Nikolaikirche". Denn die beherzte Wende in der Geschichtspolitik der späten DDR, der begeisterte Griff ins preußische Erbe, die Heimholung des Alten Fritz und die Rekonstruktion des alten Kerns von Berlin sind zwar in der Fachliteratur oft beschrieben, aber in Ausstellungen noch nicht so oft zur Anschauung gebracht worden.

Schließlich ist da immer auch noch der gebaute und der subtil formulierte Widerstand dagegen. Der Protest gegen die Postmoderne, die man bald schon als Pomo abzukürzen begann, und die gerade unter DDR-Fachleuten vehemente Verteidigung der spät rehabilitierten Bauhaus-Moderne, auch dies aus gesellschaftspolitischen Impulsen heraus. Das postmoderne Versprechen angeblicher Wahlfreiheiten und ihr Angriff auf jede Idee von Objektivität hat Marxisten ja auch im Westen schon früh eher ein mulmiges Gefühl hinterlassen. Es erwies sich in der Praxis dann ja auch oft als verblüffend eng, verbohrt und unpraktisch. Im weitesten Sinne zu dieser Geschichte gehört schließlich auch, dass der Katalog dazu eigentlich überaus lesenswert sein könnte, wenn in den Texten nicht überall Sternchen herumliegen würden wie blecherne Deko-Bommeln in den Fassaden so mancher "Mehrfamilienvillen" jener Zeit. Das Wissen von Experten wie Wolfgang Kil oder Florian Urban findet man in deren jeweiligen Büchern zum Thema breiter aufbereitet und typografisch unverbommelt. Aber wer in Zukunft beim Gang durch Berlin etwas von den Sehnsüchten und der Tragik wissen möchten, die hinter vielem steckt, das heute womöglich unschön wirkt, der beeilt sich bitte und schaut sich das hier an, solange es noch läuft.

"Anything goes? Berliner Architekturen der 1980er Jahre". Bis zum 16.8. in der Berlinischen Galerie, täglich außer Dienstag 10:00 - 18:00 Uhr. Info: berlinischegalerie.de

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