Süddeutsche Zeitung

Band-Comebacks:Lukratives Schwelgen in Erinnerungen

Lesezeit: 4 min

Eine Wiedervereinigung ist ein Risiko fürs Image. Trotzdem meldet sich mit Faith No More die nächste Band aus den 90ern zurück. Der Grund ist bei allen der gleiche: Nostalgie verkauft sich gut.

Von Felix Reek

Es ist kaum jemand unter 30 in der Frankfurter Jahrhunderthalle, als Faith No More 2009 eines ihrer ersten Deutschlandkonzerte nach elf Jahren geben. Überall angegraute Haare, Wohlstandsbäuche, müde Augen von den durchwachten Nächten am Bett der Kinder. Mike Patton, Sänger der Band, schlurft auf die Bühne. Er trägt einen knallroten Anzug, stützt sich auf einen Gehstock. Die ersten Töne erklingen, ein schmalziges Soul-Stück von "Peaches & Herb". Und Patton beginnt zu singen, mit dieser Stimme, die noch immer 99 Prozent seiner Kollegen wie Chorknaben im Stimmbruch klingen lässt: "Reunited and it feels so good", ein zynischer Seitenhieb auf die Wiedervereinigung, die man hier selbst gerade begeht.

Eines muss Faith No More schon damals klar gewesen sein: Bands, die sich nach jahrelanger Abstinenz wieder zusammenfinden, begeben sich auf gefährliches Terrain. Muss das wirklich sein? Kann das funktionieren? Zerstört man nicht das eigene Erbe? Abgehalten hat das die Band nicht. Seit 2009 spielen Faith No More wieder Konzerte, mit "Sol Invictus" erscheint am 15. Mai ihr erstes Album seit 18 Jahren. Die Karriere der Band war kürzer als die nachfolgende Pause.

Endlich wieder vereint

Der naheliegendste Grund für die Rückkehr ist Nostalgie. Eine Studie des Streaming-Dienstes Spotify zeigte jüngst, dass ab dem Alter von 35 Jahren der Konsum von neuer Musik rapide abnimmt. Stattdessen hören wir die Hits unserer Jugend. Natürlich ist das nur bedingt aussagekräftig, Spotify ist erst seit einigen Jahren auf dem Markt. Aber jeder Musikfan wird schon einmal an sich selbst beobachtet haben, dass ihn im fortschreitenden Alter immer weniger neue Alben so begeistern wie mit 15 oder 16 Jahren. Damals, als die Lieblingsband eine Religion war. Taucht eine von ihnen plötzlich wieder auf, ist es wie ein zufällige Begegnung mit der Ex: alles so schön vertraut. Dass sie vielleicht ein paar Pfunde zugelegt hat oder die Musik nicht mehr ganz so zwingend ist wie vor 20 Jahren - egal. Man ist wieder vereint, das ist das einzige, was zählt. Selbst Bands können sich der Wirkung der Nostalgie nicht entziehen. Als drei der Mitglieder von Faith No More 2008 bei der Hochzeit von Keyboarder Roddy Buttom zum ersten Mal seit Jahren wieder aufeinandertrafen, "war es sehr vertraut, wie ein Schultreffen". Schnell kam die Idee für ein gemeinsames Konzert auf.

Genau hier wird es für die Musikindustrie interessant. Denn nichts ist so lukrativ wie die Vergangenheit. In einer Gesellschaft, in der jeder seine Jugend so lange wie möglich hinauszögern will, ist Musik die Schnellstraße zur Erinnerung - und damit zum Geld. Nicht ohne Grund kehren in verlässlicher Regelmäßigkeit Bands zurück, befeuert von den eigenen verklärten Erinnerungen, gelockt von dicken Schecks. Dass es sich dabei in den letzten Jahren um so viele Bands aus den 90ern handelt (Soundgarden, Alice In Chains, The Prodigy und zuletzt Blur), hat einen einfachen Grund: Ihre Fans gehören der letzten Generation an, die für Musik Geld ausgegeben hat. Danach veränderten Napster, iTunes und Spotify die Branche für immer. Alben oder Singles machen heute kaum noch einen Musiker reich.

Stattdessen wird das Geld auf Festivals verdient. Vor 20 Jahren spielten Tonträger noch ungefähr das gleiche ein wie Livemusik. Heute ist es nur noch ein Drittel. Nicht ohne Grund tauchten Faith No More ab 2009 vor allem auf Festivals wieder auf. Nach Angaben des Deutschen Musikinformationszentrums finden jährlich etwa 500 davon alleine in der Bundesrepublik statt. Die Headliner der Großveranstaltungen kassieren hohe sechsstellige Summen. Das Schweizer Musikmagazin 78s errechnete am Beispiel des französischen Paléo Festivals in der Nähe des schweizerischen Nyon, dass selbst Künstler wie Moby oder The Prodigy, die kaum noch in den Charts stattfinden, theoretisch Gagen von 800 000 bzw. 700 000 Euro verdienen. Bei Top-Acts wie Metallica oder Bruce Springsteen kann es auch schon mal eine Million sein. Wobei festzuhalten ist, dass sich diese hohen Summen auf wenige Bands verteilen. Der Rest zieht mit einem bescheidenen Salär weiter zur nächsten Show.

Nichts ist ein größerer Publikumsmagnet

Das hat nicht nur dazu geführt, dass Festivaltickets von Jahr zu Jahr teurer werden (Rock am Ring kostete 1985 49 D-Mark, heute sind es mindestens 160 Euro), sondern auch, dass im Kampf um hochkarätige Künstler immer mehr Bands ihren Ruhestand beenden. Nichts ist ein größerer Publikumsmagnet als eine Gruppe, die sich exklusiv für einige Festivals wieder zusammenfindet.

Schnell ist dann auch ein neues Album zur Hand, auf dem bekannte Muster reproduziert werden. Denn natürlich knüpfen die wiedervereinten Bands genau da an, wo sie aufgehört haben. Das Ergebnis ist meist solide, kann aber nicht an frühere Großtaten heranreichen. Auf "Sol Invictus" etwa finden sich neben typischen Faith-No-More-Hits, in denen Pattons Stimmakrobatik auf Stakkato-Gitarren und den großen Pathos im Refrain treffen ("Motherfucker") auch wieder zynische Selbstdialoge ("Cone Of Shame") und seltsame Cowboy-Songs ("Black Friday", "From The Dead"). Schlecht ist das nicht, das Album wächst wie bei Faith No More üblich mit jedem Durchlauf. An ihre ganz großen Momente auf "The Real Thing" und "Angel Dust" kann die Band aber nicht anknüpfen.

Den Fans ist das egal. Die Freude überwiegt und sie kaufen gleich noch die neu aufgelegten Klassiker der Band, die drei Wochen nach dem neuen Album mit Bonus-Tracks erscheinen. Verdienen werden die Musiker um Mike Patton daran wahrscheinlich nicht mehr viel, die Rechte liegen bei ihrer alten Plattenfirma. Aus diesem Grund nahmen sie wohl auch das neue Album "Sol Invictus" in Eigenregie auf und veröffentlichten es auf Pattons Label Ipecac. Mit der Platte im Gepäck gehen sie jetzt zum ersten Mal seit ihrer Auflösung wieder in den USA auf große Tour. Dort schwelgen sie mit ihren Fans noch einmal in Erinnerungen. An den ersten Kuss, die erste Liebe, oder im Fall von Faith No More, an den ersten Wahnsinnigen, der sich beim Singen mit der Handkante auf den Kehlkopf prügelte. So lange, bis auch ihnen klar wird, dass Erinnerungen vergänglich sind. Aber wen interessiert das schon, wenn Patton noch einmal dort oben auf der Bühne steht und singt: "Wiedervereinigt. Und es fühlt sich so gut an." In genau diesem Moment hat er recht. Und das ist alles, was zählt.

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