Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Prachtkäfer

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Die Hypo-Kunsthalle München präsentiert in einer eindrucksvollen Schau Glanz und Stolz des japanischen Rittertums: die kunstvollen Rüstungen der Samurai aus den vergangenen Jahrhunderten.

Von Harald Eggebrecht

Auch aus der Nähe erinnern diese in verschiedensten Farben leuchtenden, aus edlen oder veredelten Materialien wahrhaft kunstvoll gefertigten Rüstungen, Gesichtsmasken und Helme japanischer Samurai in ihrer Vielteiligkeit, Beweglichkeit und Extravaganz immer auch an die koloristische Pracht, den metallischen Glanz und die gefährliche Schönheit von großen Prachtkäfern. So gut wie gar nicht aber hat man jene Ganzkörperrüstungen europäischer Art im Sinn, die bei aller handwerklichen Qualität doch stets auch ein wenig an eine kuriose Art überdimensionaler Kanonenöfen denken lassen.

Die Münchner Hypokunsthalle bietet mit der Ausstellung über die "Pracht des japanischen Rittertums", kuratiert von Nerina Santorius und großzügig, dabei auf angenehm zurückhaltende Art "japanisierend" aufgebaut, einen tiefen Blick auf die Welt der Samurai, vor allem auf die Repräsentation dieser Kriegerkaste in ihrer Glanzzeit im 17. und 18. Jahrhundert. Die über hundert Exponate kommen aus der Sammlung Ann und Gabriel Barbier-Mueller, einer der weltweit größten Kollektionen ihrer Art außerhalb Japans und in Dallas, Texas beheimatet. Sie ist jetzt erstmals in Deutschland zu sehen und wird nach München noch weitere Stationen in Europa machen.

J. Gabriel Barbier-Mueller, Spross einer Schweizer Sammlerfamilie, hat seine erste Begegnung mit einer Samurairüstung und die sie anregende Magie beim Besuch in der Galerie eines Pariser Kunsthändlers eindrücklich beschrieben: "Während sich meine Eltern verschiedene Werke ansahen, ließ ich mich in der Nähe einer Samurairüstung nieder. Sie starrte mich mit dem für Halbmasken (menpō) charakteristischen eindringlichen Blick an und löste im selben Moment etwas in mir aus. Die Rüstung war dunkelblau mit mächtigen Nietenreihen auf dem Helm. Ich fürchtete mich nicht, eher war ich fasziniert von der Präsenz, Konstruktionsweise, Komplexität und der Palette verwendeter Materialien: gemustertes Rehleder, Lack, Metallarbeiten. Augenblicklich fühlte ich mich davon angezogen . . ."

Die Rüstungen sollten Schutz und Beweglichkeit garantieren, aber auch den Stand des Trägers zeigen

Es dürfte den Besuchern kaum anders ergehen: Variantenreich, einfallsbesessen, modisch ausgefallen, üppig dekoriert und farbenprächtig sitzen die Rüstungen da, fast so, als befände sich ihr stolzer Eigentümer noch in ihnen. Angeführt von einem Plattner, einem Rüstungsmacher, kam ein ganzes Team zusammen aus Spenglern, Sattlern, Flechtern, Goldschmieden, Färbern, Malern und anderen Handwerksrichtungen, um ein solches Meisterwerk herzustellen, natürlich ganz nach den Wünschen des Auftraggebers.

Die so genannte "große Rüstung", bestehend aus Brustpanzer, Helm und Schulterprotektoren, wurde im 10. Jahrhundert in ihrer dann bis zum Ende der Samurai-Kultur 1868 reichenden maßgeblichen Form geschaffen. Dass im Laufe der Jahrhunderte und der Verbesserung der Waffen bis hin zum Gebrauch von Musketen, die mit der Ankunft der Portugiesen im 16. Jahrhundert eingeführt wurden, auch die Rüstungen verstärkt, verfeinert, angepasst und über den ganzen Körper hin ausgebaut wurden, versteht sich von selbst. In jedem Falle sollte sie Schutz und Beweglichkeit garantieren, durfte demnach nicht schwer sein und sollte darüberhinaus den Krieger standesgemäß schmücken.

Die zentralen Bauelemente sind rechteckige Lamellen aus Leder oder Eisen, die nun wie ein Schuppenkleid mit Lederstreifen oder Seidenschnüren verschnürt und verflochten werden.

Der Aufstieg der Samurai zur über Jahrhunderte hin bedeutungsvollen Kriegerklasse begann mit der Abkehr von der bis dahin geübten Wehrpflicht, als Japan von Nara aus beherrscht wurde. Die Hauptstadt wurde 794 nach Kyoto verlegt, die Provinzen wurden nun von Grundherren beschützt, die mit Privatarmeen ihren Einfluss geltend machten und vergrößerten. Doch zugleich wuchsen die Spannungen untereinander, es kam zu Fehden und Kriegen, dementsprechend wurden auch die Rüstungen perfektioniert je nach gesellschaftlichem Stand. Mit der Belagerung der Burg Osaka 1614/ 15 endeten die innerjapanischen Kriege. Für rund 250 Jahre herrschte während der Edo (Tokio)-Zeit mehr oder weniger Frieden. In dieser Epoche wurden aus den Rüstungen endgültig Statussymbole, die entsprechend dekoriert und individuell ausgestattet wurden, ohne aber ihre Funktionstüchtigkeit im möglichen Kampf zu verlieren. Wer sich angesichts solchen Prunkes, der auch die Pferde entsprechend ausstaffierte mit prachtvollen Sätteln, furchteinflößenden Stirnmasken und Panzerdecken, an den europäischen Barock erinnert fühlt, liegt richtig. Hier wie dort wollte man die Bedeutung von Klan und Stand vorführen. Jeder Samurai wollte auf seine ganz eigene Weise mit seiner Galarüstung sich und seinen Rang repräsentativ zeigen.

Die Formenvielfalt ist erstaunlich. Der krausesten Fantasie waren keine Grenzen gesetzt

So kommt man aus dem Staunen darüber nicht heraus, was die Handwerker an neuen Formen und skulpturalem Schmuck allein für Helme erfanden: Ob in Form von Auberginen oder einer Axt, ob mit Hirschgeweih oder gekrönt von einer Jakobsmuschel, ob mit Sanskritzeichen verziert oder mit Tabakspfeifen, es gibt nichts, was an Ausgefallenheit unmöglich wäre. Ähnlich vielfältig sind Halb- und Ganzmasken, die das Gesicht abdecken. Manche haben lange, spitze Nasen, Schnurrbärte aus Pferdehaar oder sind mit Haarbüscheln versehen, auch strenge Eisenmasken ohne Dekor gibt es, andere ahmen bestimmte Tiere nach oder Teile von ihnen. Auch der krausesten Fantasie waren offensichtlich keine Grenzen gesetzt.

Während man immer wieder überrascht wird von noch verrückteren Varianten, die herrlichen Rüstungsmäntel bewundert und den so grimmigen wie manchmal komischen Masken ins "Gesicht" schaut, tauchen in einem Szenen auf, die nicht nur von Tapferkeit, Treue und Edelmut der Samurai erzählen, sondern auch von blutiger Grausamkeit und Brutalität der Kriegführung, bei der am Ende diejenigen belohnt wurden, die möglichst viele Köpfe von Erschlagenen präsentierten. Je höher gestellt der geköpfte Feind war, desto größer Ehre und Machtzuwachs. Waffen wie Pfeile, Bögen, Lanzen, Speere, Kurz- und Langschwerter sind nur in Einzelbeispielen vertreten, Barbier-Mueller hat vor allem die "Prachtkäfer" gesammelt.

Ein letzter Blick auf eine in Türkis schimmernde Rüstung: durch alle Opulenz hindurch scheinen Geschrei, Stöhnen, Ächzen vor blutrotem Hintergrund zu klingen.

Samurai. Pracht des japanischen Rittertums. Die Sammlung Ann und Gabriel Barbier-Mueller. Hypokunsthalle München bis 30. Juni 2019. Katalog Hirmer Verlag, München 2019, 360 Seiten, 35 Euro.

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Quelle:
SZ vom 01.02.2019
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