Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Gotisches Gesamtkunstwerk

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Erstmals wieder vereint, sehr sehenswert: Der Hochaltar der Klosterkirche Altenberg im Frankfurter Städel.

Von Gottfried Knapp

Wer auf einer Kunstreise durch das Lahntal bei Wetzlar zum ehemaligen Prämonstratenserinnenkloster Altenberg hinauffährt, der kann dort eine in den Bauformen gut erhaltene Nonnenklosterkirche aus dem 13. Jahrhundert erleben. Auch interessante Fresken aus der Blütezeit des Klosters haben sich an den Wänden erhalten. Die ehemals bedeutende gotische Ausstattung der Kirche ist heute freilich in alle Welt verstreut. Da aber das Kloster in Hessen mit einer Lieblingsfigur der Deutschen in Verbindung gebracht wird, mit der heiligen Elisabeth von Thüringen, sind die nach der Säkularisation des Klosters vererbten und verkauften Stücke bei allen Nachbesitzern in Ehren gehalten worden.

Dieser Umstand hat jetzt ein kleines museumstechnisches Wunder möglich gemacht. Zum allerersten Mal seit ihrer Zerstreuung konnten fast alle Kunst- und Kultobjekte, die um 1320 im Chor der Kirche wie in einem Gesamtkunstwerk aufeinander bezogen waren, im Städel-Museum in Frankfurt in einer Ausstellung wieder vereint werden: der Hochaltar, die Glasmalereien aus dem Chorfenster, die reich bestickten Altardecken, die Altarkreuze und Goldschmiedearbeiten.

Dass sich das vergleichsweise kleine Kloster Altenberg damals eine so außergewöhnlich prunkvolle Ausstattung hat leisten können, erklärt sich aus der Vorgeschichte. Elisabeth von Thüringen wurde schon zu Lebzeiten wie eine Heilige verehrt. Sie gab ihre 1227 geborene Tochter Gertrud bereits als Kleinkind nach Altenberg - und durch diesen Schritt verlieh sie dem Kloster eine überregionale Bedeutung. Als Gertrud dann selber dem Konvent vorstand, hat sie eine Kirche im neuesten Stil errichten lassen, in der auch ihre 1231 gestorbene und 1235 heilig gesprochene Mutter verehrt werden konnte. Das Armreliquiar der Heiligen und die Silberkanne aus ihrem Besitz fanden jedenfalls schon beim Bau der Kirche ihren Platz in eigens dafür vorgesehenen Nischen im Chor.

Nach Gertruds Tod - auch sie wurde in Altenberg früh schon heiligmäßig verehrt - reagierte das Kloster mit einer ganzen Reihe bedeutender Kunstwerke auf den Kult, der sich um die beiden thüringischen Frauen entwickelt hatte. Das anspruchsvollste Stück der um 1320 gefertigten Ausstattung war fraglos der Flügelaltar, der zu den bedeutendsten Schöpfungen seiner Zeit gezählt werden kann. Er bestand aus einem geschnitzten Schrein, dessen vorgeblendete gotische Maßwerkfenster einen Kirchenraum im Modellmaßstab suggerierten. In den seitlichen Gefachen dieses Schreins waren Reliquien aufgestellt. Aus der mittleren Kammer heraus aber leuchtete die reich mit Gold und Farben geschmückte Skulptur der thronenden Maria mit Kind in die Kirche hinein.

Die bemalten Flügel des Altars konnten in sich vertikal so gefaltet werden, dass der Schrein teilweise oder auch ganz geschlossen werden konnte. Die wunderbar erhaltenen Mariendarstellungen auf den geöffneten Flügeln mit dem Lyrismus ihrer weich kurvierten, aber bestimmten Umrisslinien gehören zum Vollkommensten, was damals nördlich der Alpen auf Holz gemalt worden ist. Die Heiligen Drei Könige, die auf dem linken Flügel rechts unten abgebildet sind, können nun, da die Flügel für einige Zeit wieder an den Schrein angefügt sind, erstmals wieder Blickkontakt mit der in einigem Abstand plastisch in der Mitte der Altarkomposition sitzenden Maria aufnehmen. Wenn die Flügel wieder abgenommen sind und in der Galerie hängen, wird ihre Geste ins Leere gehen. Auf dem rechten Flügel aber lässt sich nacherleben, wie ein Mensch, der ein paar Jahrzehnte vorher noch in der Region gelebt hat, per Abbild in den Himmel der Heiligen aufgenommen wird. Unter dem Erzengel Michael, der in einer wirkungsvollen Diagonalbewegung den Satansdrachen ersticht, darf die heilige Elisabeth sich als Wohltäterin betätigen.

Schaufenster des Himmels. Der Altenberger Altar und seine Bildausstattung, Städel Museum, Frankfurt, bis 25. September. Katalog 24,90, Hochaltar-Kolloquium 19,90 Euro (Deutscher Kunstverlag).

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Quelle:
SZ vom 13.07.2016
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