Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Der Freiraum der Kunst fühlt sich hier an wie eine Resterampe

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Von Catrin Lorch

Die Farbe ist wie hingehaucht, erst Weiß, dann helles Orange, zuletzt wässriges Rot. Bei dem Selbstporträt schimmert ein Schädel durch unter den langen, lasierenden Locken. Aber es ist nicht nur Jonathan Meese, der unverkennbar von der Wand blickt, es ist auch ausreichend Seitenscheitel und Bärtchen da, damit das Gesicht von Adolf Hitler durchscheint. Den die dunkelroten Striche nicht verdecken, mit denen das Viereck auf der Oberlippe in Schnurrhaare verwandelt wurde. Das kleine Vexierbild ",Chef de Kunst' sagt: Kunst ist de Chef! (Ferienprogramm)", in diesem Jahr gemalt, riecht noch nach Terpentin und hängt direkt neben dem Eingang in der Ausstellung, deren Titel "Die Irrfahrten des Meese" darüber gekleckst wurde.

Den Kunstbetrieb stürmt er wie ein ehemaliger Klassenclown, der keine Angst hat vor Peinlichkeit

Die Retrospektive sieht vertraut aus. Man kann in den Aufbau aus Gemälden und Zeichnungen, Vitrinen, Drucksachen, und Tischen voller Skulpturen eintauchen wie in eine einzige große Installation. Solche Räume haben Jonathan Meese berühmt gemacht, schon weil er ohne Scheu oder Angst vor Peinlichkeit genauso Syberberg und Beuys zitiert wie das unaufgeräumte Zimmer eines pubertierenden Messies.

Damit brach Jonathan Meese Ende der Neunzigerjahre dröhnend in eine Kunstwelt ein, die sich gerade auf die slicke Malerei von Michel Majerus oder Albert Oehlen kalibriert hatte, auf die Konstruktionen von Liam Gillick aus gebürstetem Stahl und Plexiglas oder Lichtkuben von Angela Bulloch. Als wäre der klimatisierte Thinktank, in dem sich Alumni zusammenfinden, vom ehemaligen Klassenclown gestürmt worden, der kreischend seinen Trainingsrucksack auspackt: Science-Fiction, "John Sinclair", Taschenbuchklassiker wie "Moby Dick", "Tom Sawyer" und "Also sprach Zarathustra", während aus dem Kassettenrekorder abwechselnd Radiopop und "Die drei Fragezeichen" leiern.

Es gibt Künstler, die bedeutend sind. Und solche, die prominent sind. Manche sind auch beides. Aber während auch Menschen, die zu Museums-Vernissagen gehen, auf der Straße einen Gerhard Richter oder eine Rosemarie Trockel nicht erkennen, ist der im Jahr 1970 in Tokio geborene Jonathan Meese so prominent, dass er in Talkshows oder bei Interviews für die Kunst spricht, auch wenn seine eigene, wie in den vergangenen zehn Jahren, kaum öffentlich zu sehen ist. Jetzt ist er wieder da, die Pinakothek der Moderne in München hat ihm die erste Ausstellung eingerichtet, seit er sich vor Gericht wegen eines Fernsehauftritts rechtfertigen musste, bei dem er den Hitlergruß zeigte, also den rechten Arm stramm in die Luft riss. Nach seinem Freispruch wurde er zwar nach Bayreuth eingeladen, wo man seinen gestalterischen Beitrag zum "Parsifal" aber schon vor der Premiere verwarf.

Der zottelige, muntere Jonathan Meese wirkte beschädigt - schon weil man die Kunstfreiheit nicht gerne dort verteidigt, wo einer den rechten Arm hebt. Seine Karriere war unterbrochen. Dem so begabten Maler, der in düsteren Farben die NS-Vergangenheit Deutschlands in naiver Neugier zitierte, hatte man vor dem Skandal eine glänzende, internationale Zukunft prophezeit: Sammler lieben deutsche Malerei, die sich mit Nazihistorie einmatscht. Aber erst jetzt kann Meese wieder an seine Karriere anknüpfen, in einem Alter, in dem nicht ein Saal für Wechselausstellungen im ersten Stock der Pinakothek angestanden hätte, sondern eine umfassende Mid-Career-Show mit Stationen in amerikanischen Ostküstenmuseen.

Stattdessen nun eben wieder eine Gesamtinstallation, die mit frühesten Arbeiten aus der Zeit einsetzt, in der Meese an der Hamburger Akademie studierte. Einer kleinen Skulptur beispielsweise, die viel von einem verbogenen Gitterzaun hat, in dem sich Sandkastenkram verhakt hat. Der kleine Korb soll als tragbare Plastik einst F. E. Walther entzückt haben, erinnert sich Jonathan Meese bei der Pressekonferenz, zu der er - mit Muttern im Schlepptau - pünktlich eingetroffen ist. Den Kuratoren war die Panik anzumerken. Denn ihr Projekt soll das Talent unter dem historischen, deutschtümelnden, erzschweren Geröll freilegen. Weswegen Jonathan Meese sich nicht zu laut, zu hysterisch, doch wieder provokant aufführen darf, während Direktor Bernhard Maaz die klugen Parallelen zu Dadaismus und John Heartfield anmoderiert.

Man wolle den "poetischen" Künstler zeigen, erklären die Kuratoren Bernhart Schwenk und Swantje Grundler. Vor allem, so hat man den Eindruck, auch freundlichere Farben. Der Teppich strahlt in Rosarot und Weiß, die enormen Formate an den Wänden sind hell und luftig. Es bleibt viel Raum, wo Meese sonst zusammenschiebt und schichtet. Die Motive und Wortspiele breiten sich aus, vor allem die aus mehreren Leinwänden zusammengesetzten Panoramen sind sogar mit ein paar Zeilen in rosafarbener oder gelb strahlender Schrift überzogen. Und kleine Skulpturen setzen sich aus freundlichen Materialien zusammen: Cowboyfigürchen, Holzresten, Pappen, Puppen, Kindermöbeln. Das unbändige "Über-Kind" Jonathan Meese wirkt wie ein Austauschschüler von Keith Haring oder Jean-Michel Basquiat.

Ist es unaufrichtig, den Künstler, der jetzt nicht mehr von einer "Diktatur der Kunst", "Totalkunst" oder "Erzkunst" spricht, sondern das gewichtige Wort nur noch mit ein paar Pünktchen zur "K.U.N.S.T." verfremdet, so aufzuhellen? Das Poetische darf nun nachhallen - von der Feststellung "Alles ist topfit, wie Ezra Pound" bis zu der Ansage "Dieses Tierbaby, ja, kann doch nur euer Chef sein". Doch sind die historisch brisanteren Motive noch da. Auf der größten Leinwand hat Jonathan Meese nicht nur die Spielkarten des Diktatorenquartetts eincollagiert, wobei die Trumpfkarte Hitler kleisterig ganz oben glänzt, sondern auch noch ein historisches Foto von einem traurigen Führer in verwaschenem Grau und die halb übermalte Reproduktion eines NS-Banners mit Hakenkreuz. Alles also noch da, aber genauso unkenntlich wie Adolf Hitler auf dem Selbstporträt mit dem Katzenschnurrbart.

Der Freiraum der Kunst fühlt sich hier nicht weit an, sondern wie eine Resterampe

Doch solche Motive sind eben niemals einfach nur da. Sie haben die stumpfe Qualität eines schwarzen Lochs oder einer dunklen Materie, um es mal so populärwissenschaftlich-umgangssprachlich auszudrücken wie der Künstler. Nach ihrer Präsenz richten sich alle anderen Schöpfungen aus, von den zerquetschten, unfertigen Swastikas auf den Leinwänden bis zum Torso einer Barbiepuppe. Glücklicherweise hebt die den linken Arm.

Die Kombinationen und Klitterungen führen jedoch zu nichts. Klar, Jonathan Meese kann den Gedanken der Katharsis rauf und runter zitieren ("Der Krieg gehört auf die Bühne!") und seine Kollegen der politisch korrekten Selbstzensur bezichtigen. Der Freiraum der Kunst, den man hier verteidigt, der fühlt sich nicht weit an, sondern wie eine Resterampe. Und die Kunst des manischen Jonathan Meese steht zudem still. In dieser Retrospektive zeichnet sich keine Entwicklung ab, nur dass da einer jeden Tag zwanzig Seiten schreibt, tänzelnd einige Leinwände zugleich bearbeitet, stundenlang die gleichen Songs hört und zweimal badet.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Als Jonathan Meese in den Neunzigerjahren anfing, da waren die Runen und das Raunen aus dem bundesdeutschen Alltag fast verschwunden. Man konnte es aushalten, dass noch mal einer runter in den Keller ging und in labbrigen Kartons nach Opas alten Orden kramte. Jetzt sind nicht nur Fahnen und Aufmärsche und Rassismus wieder da, sondern auch das ganze rechte Interesse an Historie, an Geschichtsklitterungen, Umdeutungen, Verleumdungen. Es spricht nicht für das Werk, dass Jonathan Meese da nicht gefragt war, weder als Prominenter noch als Künstler. Wahrscheinlich weil er doch nur wieder irgend etwas erzählt hätte. Sein Werk taugt nicht zur Bühne, auf der man den Krieg auslebt, betrachtet, verarbeitet. Und die bunte, poetische Präsentation in München, sie reicht nicht mal zum kleinen Zwist.

Die Irrfahrten des Meese. Pinakothek der Moderne, München. Bis 3. März. Katalog 12,80 Euro.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018
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