Süddeutsche Zeitung

Architektur & Lehre & Kolonialismus:Der dicke Blaue

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Das Architekturstudium ist häufig abstrakt. Bei Design-Build-Projekten ist das anders. Dort lernen Studierende den ganzen Prozess eines Bauprojekts kennen. Die Methode hilft beim Ausbruch aus der klassischen Lehre.

Von Laura Weißmüller

Wie wird eine Küche reisefertig? Das war die Frage, die Rabea Haß und Jule Schröder im Jahr 2015 an Architekturstudierende der TU Berlin stellten. Diese sollten einen Frachtcontainer in eine mobile Großküche verwandeln, wo gekocht, aber auch gegessen wird, und das in ganz Europa. Denn Haß und Schröder wollten mit ihrer "Kitchen on the Run", wie sie das Projekt nannten, auf Reisen gehen, um dort, wo sie Station machen würden, mit Geflüchteten und Menschen vor Ort zu kochen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise wurde "Kitchen on the Run" zu einem Projekt, das Hoffnung machte, und der "dicke Blaue", wie sie ihren Küchencontainer tauften, zum "wichtigsten Teammitglied".

Die reisetaugliche Küche ist im Rahmen eines Design-Build-Projekts entstanden. Was sich hinter dem Begriff verbirgt, wussten die Initiatorinnen nicht. Sie sind damit in bester Gesellschaft. "Design-Build ist ein schwieriger Begriff. Selbst viele Architekten kennen ihn nicht", sagt Vera Simone Bader. Sie hat mit "Experience in Action!" die erste Ausstellung über diese Lehrmethode in der Architekturausbildung kuratiert. Nach acht Wochen coronabedingtem Dornröschenschlaf ist die Schau im Architekturmuseum der TU München endlich zu sehen. Für die Architekturwelt dürfte sie wichtige Erkenntnisse liefern.

Das, was zum Architektenalltag gehört, lernen viele erst nach ihrer Ausbildung kennen

Angefangen mit dem Begriff Design-Build. Der kommt ursprünglich aus der Bauindustrie und bezeichnet den kompletten Prozess eines Bauprojekts, vom Entwurf bis zur Ausfertigung. Im Architekturstudium bedeutet Design-Build aber noch mehr: Alle Projekte besitzen eine soziale Komponente. Weswegen der Architekt und Philosoph Martin Düchs die Lehrmethode im Katalog auf die Kurzformel bringt, "wirklich zu machen und dabei zu helfen".

Immer mehr Studierende wollen das. Ihnen fehlt die praktische Erfahrung in der Ausbildung, denn anders als in der Medizin, wo schon frühe Semester Kontakt mit Patienten haben, sieht das Architekturstudium eher wenig Praxis vor. Das, was zum Architektenalltag gehört, lernen viele erst nach ihrer Ausbildung kennen.

Diese Fehlstelle fiel schon auf, bevor in den Siebzigerjahren Universitäten unter dem Begriff Design-Build Projekte in den USA, aber auch in Deutschland realisierten, um aus der klassischen Architekturlehre auszubrechen. Schon am Bauhaus ließ Walter Gropius seine Studierenden das Haus am Horn in Weimar realisieren. Sein Nachfolger Hannes Meyer nahm den Praxisbezug sogar noch ernster. Die Laubenganghäuser in der Siedlung Törten in Dessau sind ein Werk seiner Bauhausschüler. Und auch am legendären Black Mountain College in den USA setzte man von Anfang an auf die Learning-by-Doing-Methode.

In Deutschland dürfen Studierende nur temporäre Gebäude entwerfen, auch um Architekten keine Aufträge wegzuschnappen

In München stellt die Kuratorin Bader nun exemplarisch 16 Design-Build-Projekte anschaulich vor. Großformatige Fotografien zeigen die Studierenden bei den einzelnen Arbeitsschritten, wie sie vor Ort recherchieren, etwa zu Sanitäranlagen in einem indischen Dorf. Wie sie mit den späteren Nutzern herausfinden, welche Räume diese wirklich brauchen, etwa in einem Gemeinschaftshaus für eine informelle Siedlung in Peru. Und wie sie mit der Hilfe lokaler Arbeiter ihren eigenen Entwurf bauen, etwa einen Operationssaal in Kamerun.

Indien, Afrika, Südamerika: Viele Design-Build-Projekte entstehen in den ärmeren Regionen der Welt. Das hat unterschiedliche Gründe. In Deutschland dürfen Studierende etwa nur temporäre Gebäude entwerfen, auch um Architekten keine Aufträge wegzuschnappen. Das schafft aber ein gewaltiges Problem: Wie stellt man sicher, dass die Projekte nicht in neokolonialen Strukturen entstehen? Wo Studierende schon als "Boss" bezeichnet werden, nur weil sie weiß sind? Und Kritik ausbleibt, weil die Bauten geschenkt wurden?

"Der Vorwurf trifft zu, wenn die Ausführung der Projekte nicht gut umgesetzt wird und man den Menschen vor Ort ein Gebäude aufbürdet, das sie gar nicht brauchen", sagt Bader. Auch sie hatte Vorbehalte gegen die Lehrmethode, gerade wenn Projekte nur den Lebenslauf schmücken sollen und nach dem Abflug sich selbst überlassen werden. "Aber wenn es gut läuft, dann ist es eine Auseinandersetzung auf beiden Seiten." Klar sei aber auch, dass es viel mehr Reflexion und Evaluierung braucht, "was man da tut und wie man das tut". Was man sich tatsächlich auch für viele andere Bauprojekte wünscht.

Die dicke Blaue jedenfalls tourt seit fünf Jahren. Während der Ausstellung macht sie vor dem Architekturmuseum Station. Zu Ende ist ihre Reise noch lange nicht.

Experience in Action! DesignBuild in der Architektur , Architekturmuseum der TU München, in der Pinakothek der Moderne. Bis 19. September. Zur Ausstellung ist ein umfassender Katalog im Detail-Verlag erschienen. Am 11. September findet eine Konferenz statt. Infos: www.architekturmuseum.de

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SZ vom 19.05.2020
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