Süddeutsche Zeitung

Wolf im Chiemgau:Wenn er aber kommt - dann "entnehmen" wir ihn

Lesezeit: 4 min

Zu Bayerns Abschusserlaubnis für das Wildtier regt sich deutlicher Protest.

"Wolf soll abgeschossen werden" vom 15./16. Januar, Kommentar "Der Wolf als Staatsfeind" vom 18. Januar und "Traunsteiner Wolf darf nicht geschossen werden" vom 21. Januar:

"Problembär" lässt grüßen

Ich glaube, ich habe da ein Déjà-vu-Erlebnis: Wie meinte der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber damals? "Wenn die Experten sagen, das ist ein absoluter... Problembär, da gibt es nur die Lösung, ihn zu beseitigen, weil einfach die Gefahr zu groß ist." Heute sagt man - neues "Gefahrengebiet" - der Wolf muss "entnommen werden".

Worum geht es? Die Regierung von Oberbayern hat entschieden, dass der Wolf im Landkreis Traunstein abgeschossen werden soll. Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit werde der "Entnahme" (sic!) zugestimmt. Was der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch von der CSU (wie könnte es anders sein, siehe Stoiber) bereits Mitte November als Antrag eingebracht hat, hat nun an prominenter Stelle Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber bestätigt. Im Übrigen wurde ihre positive Einstellung zu einem Abschuss seit Monaten kolportiert.

Was der Bund Naturschutz fordert, zählt bei der bayerischen Landesregierung offensichtlich wenig. Alternativen zu einem Abschuss zu prüfen oder die Nutztiere in der Gegend besser zu schützen - geschenkt! Was der Schauspieler und Tierschützer Hannes Jaenicke in einer bemerkenswerten Doku über den Wolf, dessen Population bei uns und über den Umgang mit ihm zum Ausdruck gebracht hat, zeigt offensichtlich keine Wirkung. Dass der Wolf, scheu wie er ist, den Umgang mit Menschen meidet, dass entsprechende passgenaue Zäune zum Tierschutz helfen würden, dass Herdenschutzhunde Weidetiere schützen (Nachfrage beim Bund Naturschutz genügt), all das geht offensichtlich an den staatlichen Stellen vorbei. Ebenso, dass betroffene Tierhalter Ausgleichszahlungen erhalten (Randbemerkung: Hauptsache, man kann die Klientel beruhigen, die für die nächste Landtagswahl gebraucht wird...).

Frau Kaniber sollte eines bedenken: "Wo Kompromisse fehlen, dominieren die Faustregeln", sagt der deutsche Aphoristiker Werner Mitsch.

Alfons Wopperer, Schwarzenbach an der Saale

Rotkäppchen-Syndrom

Wir haben von der Freigabe des Wolf-Abschusses im Chiemgau gelesen und sind empört und entsetzt. Mein Mann, Rainer Rossipaul, hat diesen Wolf mit eigenen Augen am 23. November 2021 im Breitenstein-Gipfelgebiet in unwegsamen Gelände aus circa 500 bis 700 Metern Entfernung gesehen. Beim ersten erstaunten menschlichen Laut durch meinen Mann - "Mensch, da ist ein Wolf!" - hat sich der Wolf sofort zurückgezogen und ist weggelaufen, und das bei dieser Distanz.

Das heißt für uns, dass dieser Wolf Menschen weder nahekommen will noch die Menschen sucht. Im Gegenteil, er zieht sich zurück und sieht eher eine Gefahr in unserer Spezies.

Wir haben daraufhin Manfred Wölfl vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LFU) eine Wolfsmeldung zukommen lassen und waren der Meinung, etwas Gutes getan zu haben. In einem Telefonat zwischen meinem Mann und Herrn Wölfl schilderte er ebenfalls die Scheu des Tieres, welches beim ersten menschlichen Laut davonlief.

Seit dieser wunderbaren und einmaligen Begegnung mit dem Wolf haben wir uns auf einschlägigen Websites über den Wolf informiert. Unser Fazit ist, dass ein gesunder Wolf zur natürlichen Artenvielfalt dazugehört, seinen festen Platz und seine Aufgabe hat - und keine Gefahr für Menschen darstellt.

Wenn uns Herr Wölfl richtig informiert hat und die Karten über die Wolfsdokumentationen stimmen, dann ist im Chiemgau ein Einzelwolf unterwegs. Wahrscheinlich folgt er der Vermehrungsstrategie "neue freie Reviere in Deutschland besetzen". Wie kann da ein Einzeltier, das gerade im Begriff ist, hier Fuß zu fassen - vor dem Hintergrund der propagierten und gewollten Artenvielfalt in der Natur in Deutschland - zum Abschuss freigeben werden!? Wie geht man im österreichischen Grenzgebiet (Tirol) mit Wölfen oder "solchen" Wölfen um?

Schließlich hat im Sommer 2020 ein Wolf im Raum Kössen/Österreich und Reit im Winkl/Deutschland ebenfalls etliche Weidetiere gerissen. Ist dies derselbe Wolf, der jetzt zum Abschuss freigeben wurde? Oder ein anderer? Ist dieser seitens Österreich 2020 ebenfalls zum Abschluss freigegeben worden? Was können wir tun? Ist es möglich, diese Abschussfreigabe noch aufzuhalten? Die Argumente der bayerischen Landes- und Kommunalpolitik sind uns jedenfalls ein Rätsel. Offensichtlich herrscht immer noch das "Rotkäppchen-Syndrom" vor.

Was wird wohl passieren, wenn, oh Wunder, gleich ein nächster Wolf folgen würde, oder gar ein ganzes Rudel? Welche Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit ist in Oberbayern zu leisten? Wir wären für eine Antwort auf diese Mail sehr dankbar mit dem Hinweis, was man als besorgter und naturliebender Bürger gegen einen solchen unsinnigen Abschuss-Beschluss unternehmen kann.

Jenny Oeltzen und Rainer Rossipaul, Aschau im Chiemgau

Chancenlos gegen Jägerlobby

Es war von vornherein klar, dass dieses Tier in Bayern keine Chance hat. Wo eine Jägerschaft regiert, die mit Jagdgesetzen aus dem Mittelalter selbstherrlich unser schönes Bayernland vor Migration schützt. Dass andere Länder wie Spanien und Italien seit Jahrzehnten mit den Wölfen leben und genauso Weidetierhaltung betreiben wie der bayrischen Bauer, ist kein Argument für Sie. Auch die Idealisten vom Naturschutzbund, die immer wieder betonen, dass der Aufwand - Schutzzäune, Herdenschutzhunde - materiell ersetzt wird, scheitern an der Front von bayrischer Regierung, Landrat und Jägern. Wozu Arbeit investieren in eine Kooperation Mensch/Wolf, die keiner von Ihnen will! Von Richtern, die Jäger wegen Mangels an Beweisen freisprechen, wenn noch die gewilderten Luchsohren in der Tiefkühltruhe ruhen, sollte man auch nicht zu viel erwarten.

Dr. Martina Eggers, Pöcking

Gebt den Wölfen Schlachtabfälle

Wenn man es als einen Gewinn betrachtet, dass Wölfe zwischen uns leben, sollte man die jeweiligen Ansprüche aufeinander abstimmen. Damit der Wolf nicht auf Schafe und andere Nutztiere angewiesen ist, sollte man ihm in abgelegenen Gebieten Futter in Form von Schlachtabfällen anbieten. Mir erscheinen dafür zum Beispiel die Wildschutzgebiete besonders geeignet, da diese sowieso von Menschen besonders wenig betreten werden sollen. Die für die Fütterung anfallenden Kosten ließen sich vermutlich leicht aus eingesparten Entschädigungszahlungen und Aufwendungen für Schutzmaßnahmen decken.

Dr. Peter Neumann, München

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Quelle:
SZ vom 25.01.2022
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