Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:In Hinkunft

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Was ist der Unterschied zwischen "künftig" und "zukünftig", fragt eine Leserin und wird sogleich mit Reiner Kunze konfrontiert. Der sieht ein Problem darin, dass man nur noch das Wort "zukünftig" höre. Dabei ist das für einen ganz besonderen Fall gedacht.

Von Hermann Unterstöger

"ABKANZELN" wird in Grimms Wörterbuch so erklärt: "Einen von der Kanzel herabwerfen, d. h. öffentlich vor der Gemeinde ausrufen ..." Heute bedeutet das Verb rügen oder scharf tadeln, und da er dies weiß, wunderte sich Leser H. über die Maßen, als er bei uns erfuhr, dass die Menschen, statt aufeinander zuzugehen, darauf aus seien, sich von ihren Mitmenschen abzukanzeln. Bei solch schrägem Sprachgebrauch müsse "man aber schon ganz schön den Riemen zerreißen".

OHNE KONKRETEN ANLASS, aber beunruhigt durch die oft willkürliche Verwendung von künftig und zukünftig, will Leserin M. wissen, ob es zwischen diesen beiden Wörtern "eine grundsätzliche Unterscheidung" gebe. Dazu Reiner Kunze: "Kaum ein Journalist oder Politiker weiß noch zu unterscheiden zwischen künftig (in Zukunft) und zukünftig (die Zukunft betreffend oder Zukunft habend). Zu hören ist fast nur noch zukünftig, was natürlich viel fortschrittlicher klingt und auf die sprechende Person zurückzustrahlen scheint, und das Wort künftig droht aus der lebendigen Sprache herauszufallen." Die Praxis nimmt darauf so wenig Rücksicht, dass es ratsam ist, auch noch einen Blick ins "Handbuch der gemeinnützigsten Kenntnisse für Volksschulen" (1795) zu tun. Dort heißt es: " Künftig steht blos dem Jetzigen entgegen; Zukünftig wird gemeiniglich nur von dem genommen, was nach diesem Leben bevorsteht."

ALS DER FRONT NATIONAL aufkam, waren Frankophile stets verärgert, wenn die Partei auf Deutsch die Front National genannt wurde. Ähnlich kritisch sieht Leser F. den Passus, Ferdinand von Schirach sei auf dem Weg "zur philosophisch belehrenden Erzählung, der conte philosophique": Da conte maskulin ist, müsse es dem conte heißen. Das ist richtig, doch zeigt auch hier die Praxis, dass manche Gesetze locker gehandhabt werden: Auch le stade (das Stadion) ist maskulin, doch würde kaum jemand sagen, "der Stade de France" in Saint-Denis sei überfüllt.

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SZ vom 04.05.2019
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