Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Das Mädchen, sie

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"Ein langes junges Mädchen (...) strich dicht an Hans Castorp vorbei, indem es ihn fast mit den Armen berührte. Und dabei pfiff sie", schrieb Thomas Mann im "Zauberberg". Ein gutes Beispiel zur Verdeutlichung der "Kongruenz".

Von Hermann Unterstöger

NEUE UNSÄGLICHKEITEN sieht unser Leser J. am Horizont der Sprache heraufziehen. Nach der Konstruktion von erinnern mit Akkusativ ("ich erinnere das genau") sei es nun wohl an der Zeit, einer Sache zu entgegnen statt auf etwas oder jemandem. Von Barbara Hendricks hatte es im Streiflicht geheißen, sie habe "der Frage" entgegnet. Herr J. entgegnet angemessen scharf und sieht keine Möglichkeit der Rechtfertigung, schon gar nicht mit der berühmtesten aller Literaturstellen, der Schiller'schen Verszeile "entgegnet ihm finster der Wüterich": Der Wüterich entgegnet ja nicht etwa dem Dolch in Damons Gewande, sondern dem Attentäter höchstpersönlich.

WÖRTER, bei denen grammatisches und natürliches Geschlecht auseinanderklaffen, haben oft einen Wechsel zwischen grammatisch korrekter und sinnentsprechender Kongruenz zur Folge: "Ein langes junges Mädchen (...) strich dicht an Hans Castorp vorbei, indem es ihn fast mit dem Arme berührte. Und dabei pfiff sie" (Thomas Mann, "Zauberberg"). Dieser Wechsel fällt umso leichter, je weiter das Pronomen von seinem Bezugswort entfernt steht, doch gibt es in der Literatur auch Belege für den direkten Schnitt: "Bitte, grüßen Sie das gnädige Fräulein, die so gut ist ..." (Theodor Fontane, "Vor dem Sturm"). Bei uns hieß es kürzlich über ein Mädchen: "Manchmal konnte es ihren eigenen Körper nicht ertragen." Höflich, wie er ist, nennt unsere Bezugsperson, nämlich Leser Dr. St., das "apart".

UMSONST ODER VERGEBENS? Der Unterschied zwischen diesen Adverbien ist ein Dauerbrenner. Leser S. weist darauf hin, dass der Widerstand gegen den Bau der A 94 vergebens gewesen sei, jedoch nicht umsonst, da viel Geld geflossen sei. Natürlich kann man das so sehen, doch hat sich umsonst im Sinn von vergebens längst sein Plätzchen im Sprachgebrauch gesichert. Hier ein Beleg aus einer gereimten Heiligenlegende: "Umsonst ist Händeringen, umsonst Geheul und Schmerz."

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Quelle:
SZ vom 14.04.2018
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