Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Bauchgefühl und Kopfgedanke

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Neologismen und schiefe Vergleiche aufs Korn genommen.

Von Hermann Unterstöger

WENN DIE ALTEN GRIECHEN recht hatten und die Seelenkräfte, gebündelt im thymós, ihren Sitz im Zwerchfell haben, gibt es für unseren Leser G. einen Grund mehr, das Wort Bauchgefühl für pleonastisch zu halten. Er schätzt es aber auch so schon als weißen Schimmel ein und fragt sich, wo dessen Gegenstück bleibt, der Kopfgedanke. Der Begriff Bauchgefühl ist neueren Datums, das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache zählt ihn unter die Neologismen der 90er-Jahre, als da wären die Cargohose, der Latte macchiato und der Schluffi. Obwohl der Bauch, wie wir aus der Reizdarmwerbung wissen, ein unsicherer Kantonist ist, gelten die Gefühle, als deren Ursprung man ihn einschätzt, als besonders zuverlässig, wohl weil der Kopf als Sitz des Hinterfragekommandos weit genug entfernt ist.

MIT DEM "TRÜMMERFELD" verhält es sich so, dass es, wiewohl nach Katastrophen und Unfällen meistens real vorhanden, nur selten als solches in den Nachrichten vermeldet wird. Leser K. (d. Ä.) ist immer wieder irritiert von der Formulierung "Der Unfallort glich einem Trümmerfeld", und mit der Irritation wächst in ihm die "Neugier auf ein echtes vorbildliches Trümmerfeld, das sich mit einer Gleichsetzung zu anderen solchen Feldern nicht begnügen muss". Es sieht ganz danach aus, als seien grausige Dinge leichter zu schildern, wenn man sie mit der Folie des Vergleichs abdeckt. Erfreulichere Dinge bedürfen dieses Schirms nicht. In einer Gastrokritik hieß es, das Dessert habe einer gelungenen Komposition geglichen. Ja, war es denn keine?

ZU WELCHEM STAAT gehört Deutschland? Das fragt sich Leser K. (d. J.), seit er lesen musste, Deutschland gehöre "zu einem der sichersten Staaten der Welt". Die Frage gleicht der, die er sich stellte, als Otto Schily einst - und hoffentlich nicht bei uns - als zum ältesten Bundestagsabgeordneten gehörig definiert wurde. Hier ein Beispiel aus der SZ (der Sächsischen Zeitung wohlgemerkt): "Schlafen gehört zum größten Zeitfresser."

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Quelle:
SZ vom 12.09.2020
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