Süddeutsche Zeitung

Causa Schlesinger:Ein Desaster für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Lesezeit: 6 min

Die Wut über die Verschwendungssucht und Vetternwirtschaft in der Führungsetage des RBB ist groß. Der Ruf nach Reformen wird laut.

"Babylon Berlin" vom 13. August, "Ende gut, nichts gut" und "Öffentlich, rechtlich, verdächtig" vom 9. August, "Tragischer Fall" vom 6. August und weitere Artikel:

Anmaßend und überheblich

Wenn Patricia Schlesinger der berufliche Aufstieg und die damit verbundene Macht offenbar zu Kopf steigen und sie Maß und Integrität verliert, ist das selbst verschuldet und nicht tragisch. Es ist anmaßend und überheblich.

Thorsten Schabelon, Essen

Zufall oder Absicht?

Worum geht es eigentlich im "Fall" der inzwischen abberufenen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger wirklich? Ist es ein Skandal, dass sie einen Audi A 8 als Dienstwagen hatte? Ist es weniger verwerflich, einen 7er BMW zu nutzen? Wurde nur für ihren Dienstwagen ein hoher Rabatt vereinbart oder ist es nicht gängige Praxis, dass Automobilkonzerne bestimmten Kunden hohe Rabatte gewähren? Hat nur Schlesinger den Dienstwagen auch privat nutzen dürfen, oder ist dies nicht generell erlaubt, da das Dienstwagenprivileg bisher nicht abgeschafft worden ist? War die Sanierung der RBB-Chefetage reiner Luxus oder aus Brandschutzgründen erforderlich, wie Schlesinger die Baumaßnahmen rechtfertigt? Ist das Gehalt der Intendantin zu hoch bemessen? Verdienen Vorstände von Unternehmen, Banken oder Chefredakteure von Zeitungen oder Magazinen etwa weniger? Ist es Zufall, dass der Fall vom Magazin Business Insider ins Rollen gebracht wurde, das zum Springerkonzern gehört? Geht es in Wirklichkeit nicht darum, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk frontal anzugreifen, wie auch die Attacken von Friedrich Merz gegen ARD und ZDF zeigen, um die Macht der privaten Fernsehsender und ihrer Konzerne zu steigern und sich einer lästigen Konkurrenz zu entledigen?

Winfried Wolf, Hamburg

Vierte Gewalt

Rundfunkgebührenzahler sollten sich von der Diskussion über das kritikwürdige Verhalten der ehemaligen RBB-Intendantin Schlesinger nicht hinter die Fichte führen lassen. Sie wird von privaten Medien und Politikern als willkommenes Vehikel genutzt, um gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorzugehen. Man sollte sich in diesen stürmischen Zeiten daran erinnern, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert wurde. Er ist weder Staatsfunk, der den Wünschen von Politikern folgt, noch Privatfunk, der dem Profitprinzip unterworfen ist. Er konstituiert so etwas wie die "vierte Gewalt", ein "Watchdog" gegen Machtmissbrauch und andere gesellschaftliche Verfehlungen. Theorie und Praxis klaffen leider auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk häufig auseinander. Umso wichtiger ist es, sich immer wieder an die Grundphilosophie zu erinnern. Das Kind mit dem Bade auszuschütten, ist keine gute Strategie zur Behebung von Missständen. Die Vermittlung von Grundsätzen schon.

Die Diskussion über Zukunft und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müsste daher bei den Rundfunkräten, die die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen repräsentieren, geführt werden. Dort muss es mehr Transparenz, Offenheit und Inklusion geben. Eine Kastrierung oder gar die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre eine Entmündigung des Bürgers. Wer Probleme mit mündigen Bürgern hat, mag das gut finden. Für die Demokratie wäre es wie ein Schlag aufs Gehirn.

Prof. em. Wolfgang Kleinwächter, Leipzig

Der Gebührenzahler bestimmt

Nicht nur Ärger, sondern heftigen Zorn weckt die Lektüre von "Babylon Berlin" und damit die ehemalige RBB-Chefin Patricia Schlesinger. Eine wirkungsvolle Maßnahme, um Wiederholungen zu vermeiden: Die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden nicht von Politikern der jeweiligen Landtage, sondern aus dem Kreis der Rundfunkgebührenzahlerinnen per Losverfahren bestimmt - eine einfache und demokratische Alternative.

Sabine und Michael Köhler, München

Lappalie

Berliner Filz? Den kennt man doch seit Jahren. Andererseits habe ich mit 54 die meisten Jobs auch nur über Bekannte bekommen. Die Mär vom guten Zeugnis, der Leistung und der unabhängigen Karriere existiert doch nicht wirklich. Über die angedeuteten Bauskandale stehen nur Vermutungen im Artikel. Plattitüden von den Massagesitzen im Auto bis zum abgesetzten teuren Essen tauchen auf. Konkret wird es bei Honoraren für den Berater: einige 10 000 Euro von der Messe. Für eine Kassiererin von Aldi sicher viel Geld, aber wenn man bedenkt, dass ein kleiner Berater 200 Euro am Tag und ein größerer zwischen 1500 und 3000 pro Tag kostet, handelt es sich ja wohl um eine Lappalie, da ja wohl mehrtägige Arbeiten abgeliefert wurden, oder? Darüber erfährt man nichts.

Arnd Kleimann, Wetter-Volmarstein

Zwangsfusion

Was im Falle Schlesinger an Dekadenz und Selbstbedienungsmentalität ans Tageslicht kommt, erinnert eher an eine Bananen- als an eine Bundesrepublik. Von Einsicht und Demut keine Spur. Eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist unumgänglich. Meiner Meinung nach ist eine Zwangsfusion von ARD und ZDF und die Zusammenlegung der Regionalsender bei Abschaffung der überflüssigen Spartensender zur finanziellen Entlastung der Beitrags- und Steuerzahler die naheliegendste Lösung. Es wurden zu viele "Direktorenpöstchen" geschaffen. Ansonsten hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk, auf den ich persönlich ungern verzichten würde, fertig.

Alfred Kastner, Weiden

Öffentliche Kontrolle

Der Fall Schlesinger hat nicht nur das Thema Gier in Chefetagen, sondern auch die Rolle der Rundfunkräte ins Licht gerückt. Ein Rundfunk frei von Staat und Markt - das war das Gründungsversprechen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Neben der Gebührenfinanzierung und dem durch Gesetze und Staatsverträge definierten Programmauftrag gehört die gesellschaftliche Kontrolle zu den Grundpfeilern dieses Modells. Diese Kontrolle ist Aufgabe der ehrenamtlich arbeitenden Rundfunkräte, die zumeist von gesellschaftlichen Gruppen entsandt werden. Doch die Expansion der Medienangebote infolge der Digitalisierung führt dazu, dass die Programmbeobachtung der Gremienmitglieder für die Programmkritik nicht ausreicht. Es sollte ihnen möglich sein, Experten hinzuzuziehen und wissenschaftlich fundierte Programmanalysen in Auftrag zu geben. Auch bezüglich der Arbeitsverträge des Sendepersonals sollten sie größere Transparenz einfordern können. Die Gremiensitzungen sollten öffentlich stattfinden, und die Rundfunkräte sollten regelmäßig über ihre Arbeit informieren, damit diese sichtbar wird.

Seit ich vor Jahren einen Vortrag über die gesellschaftliche Kontrolle des Rundfunks gehalten habe, frage ich bei jeder Taxifahrt Fahrer oder Fahrerin, ob sie wissen, was ein Rundfunkrat ist. Taxler sind meist clevere Leute, und sie gehören zu den intensivsten Radiohörern überhaupt. Aber keiner konnte mir bisher die Frage beantworten. Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache ist also für die Kontrollgremien des Rundfunks dringend angesagt.

Prof. Dr. Walter Hömberg, München

Bildung kommt zu kurz

In den 1970ern gab es nur drei TV-Programme: ARD und ZDF und die Dritten Landes-Programme, sowie je drei Radio-Landes-Programme. Damals gab es bereits zahlreiche Sendungen, die kritisch aus Politik und Wirtschaft berichteten, und es gab Telekolleg, was ich als junger Mann gerne sah, weil es allgemein bildete. Heute wirkt alles eher unterhaltsam, mit zahlreichen Morden, Doktor- und Ratespielen, locker flockig oder ideologisch behaftet. Wenn dann beispielsweise Kriegsrhetorik aus dem Lautsprecher dröhnt und die Außenministerin genötigt wird, die Sätze des Moderators nachzusprechen, oder Anlagen zur Energiewende favorisiert werden, ohne deren Nachteile (beginnend mit der Materialgewinnung) zu erklären, dann wird's Zeit zu reformieren.

Zwar haben die Sendungen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zahlenmäßig zugenommen, aber die Bildung dazu, um einen Beitrag möglichst objektiv bewerten zu können, wird den Schulen überlassen. Der Beitrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland ist erheblich. Gemessen an den 1970ern habe ich Zweifel, ob er berechtigt ist.

Rolf Dombrowsky, Dortmund

Strukturreform wäre wichtig

Es ist gut und richtig, wenn im Fall RBB und Patricia Schlesinger möglichen Verfehlungen, Verschwendung und Vetternwirtschaft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk unerbittlich nachgegangen wird und Vorwürfe aufgeklärt werden. Nur sollten wir die Relationen nicht aus den Augen verlieren. Im Fall RBB geht es um Gebühren und damit öffentliche Gelder, deswegen ist die Aufregung groß (die Kontrolle offenbar weniger), aber die Beträge, um die es geht, auch wenn es hohe Gehälter für Führungskräfte sind, sind nichts im Vergleich zu Milliardenschäden, die durch Fehler, Missmanagement oder gar Betrug in Firmen und Konzernen der freien Wirtschaft entstehen (Beispiel: cum-ex und Wirecard) und teilweise dem öffentlichen Haushalt zur Last fallen.

Bei der ARD sollte das Augenmerk auf das Thema "öffentlich-rechtliche Rentneranstalt" gelenkt werden, denn von den über acht Milliarden Euro Gebühren muss ein nicht unerheblicher Teil für die üppigen Rentenzahlungen aufgewendet werden, nicht nur für die Spitzenkräfte, die teilweise Millionenbeträge an Rentenzahlungen erhalten. Viele festangestellte ARD-Mitarbeiter stellten sich beim Eintritt ins Rentenalter bisher kaum schlechter als zu ihren aktiven Dienstzeiten, wie es in Medienberichten hieß. Eine umfassende Strukturreform im Zuge eines neuen Staatsvertrages für die ARD wäre erforderlich.

Das Missverhältnis von Einsparungen beim Programm des RBB und bei den Freien Mitarbeitern, die einen Großteil des Programms realisieren und die unlängst für ihre Rechte auf die Straße gegangen sind, einerseits und den üppigen Spitzengehältern sowie Büroausstattungen oder dem geplanten Neubau eines "Mediencenters" für über weit mehr als 100 Millionen Euro andererseits, ist untersuchenswert. Ganz zu schweigen von einer möglichen "Günstlingswirtschaft".

Wilfried Mommert, Berlin

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