Süddeutsche Zeitung

Hagia Sophia:Ein Gotteshaus für Christen und Muslime

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Muslime können wieder in der Moschee beten, die zuvor lange ein Museum war. Dass Präsident Erdoğan keine Rücksicht auf die vormals lange christliche Vergangenheit der Hagia Sophia nimmt, ärgert einige Leser sehr.

Zu "567 Jahre zurück" vom 13. Juli" sowie zu "Platz da!" vom 11./12. Juli:

Für seine Anhänger ist der türkische Staatspräsident ein Held, für viele andere ein Herrscher mit Minderwertigkeitskomplexen. Dass er die christliche Kirche der göttlichen Weisheit (=Hagia Sophia) für das Gebet der Muslime umwandeln will, möchte ich als katholische Christin nicht verdammen, aber es schmerzt mich zutiefst, dass der türkische Staatspräsident nicht die Größe des Geistes und des Herzens besitzt und das Gotteshaus auch für die Christen als Gebetsstätte zurückgeben will. Es ist groß genug für alle!

Damit würde Erdoğan zeigen, dass er ein gläubiger Moslem ist und den Christen geben, was eigentlich ihnen von Anfang an gehörte! Ich fürchte, dass es hier nicht um das Gebet geht, sondern um die Machtdemonstration! Fremdes Eigentum als das Eigene betrachten ist nicht einfach ein "Kavaliersdelikt", sondern ein Diebstahl!

Mit der Beseitigung der christlichen Symbole in der Hagia Sophia wird bewusst Memorizid und Kulturocid betrieben. Hierzulande sind in den vergangenen 40 Jahren über 2000 Moscheen gebaut worden, weil die Christen respektvoll mit anderen Religionen umgehen. Soviel ich weiß, ist vor Kurzem eine einzige christliche Kirche seit fast 100 Jahren in der Türkei erbaut worden.

Ruzica Batarilo-Poljak, München

In das anschwellende Empörungsgeheul über Erdoğans Restituierung der Hagia Sophia möchte ich einen kleinen Tropfen der Abschwächung mithilfe eines Vergleichs geben. Die Umwidmung der Hagia Sophia von einer Moschee in ein Museum durch Atatürk war eine Geste von enormer historischer Größe, der die entsprechende Erwiderung von christlicher Seite gefehlt hat und immer noch fehlt. Von ihrer Bedeutung für ihre jeweiligen Glaubensgemeinschaften sind die Hagia Sophia und die Große Moschee in Córdoba durchaus gleichzusetzen. 1454 eroberten die Osmanen Konstantinopel und wandelten die Kirche in eine Moschee um; schon 1236 war Córdoba im Zuge der Reconquista von den Christen zurückerobert worden. Die Moschee wurde in eine Kirche umgewidmet. In einem Akt architektonischer Barbarei wurde 1526 eine Kathedrale in das ehemalige Moscheegebäude hineingezwungen. Aber während Atatürk versuchte, die Religionskonflikte des Mittelalters zu den Akten zu legen, verweigerte die katholische Kirche jeglichen Bestrebungen in eine ähnliche Richtung in Córdoba ihre Zustimmung. Noch 2006 lehnte der Bischof von Córdoba eine Umwandlung der Kathedrale in ein interreligiöses Gotteshaus (also noch nicht einmal in ein weltliches Museum) ab.

Ich habe nichts mit Erdoğan am Hut, aber wenn man mit dem Finger auf ihn zeigt, sollte man sich zumindest der unerwiderten großen Geste des türkischen Staatsgründers erinnern und unseren Kirchenoberen, die mit in die Anklagen einstimmen, die Versäumnisse der eigenen Kirche unter die Nase reiben.

Arndt-B. Janssen, Hamburg

Die Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee war keine Entscheidung eines Gerichts, wie die SZ schreibt, sondern erklärte Absicht des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und daher absolut vorhersehbar. Die Justiz ist in unserem Land unabhängig, in der Türkei bereits seit Jahren gleichgeschaltet. In den Artikeln also einen "Gerichtsentscheid" oder die Initiative eines türkischen Lehrers ins Zentrum zu rücken, führt zu einer falschen Analyse der Realität. Die Türkei hat sich unter Erdoğan in meinen Augen von einer Autokratie (der Autokrat hält sich noch an bestehende Gesetze) zu einer islamischen Diktatur entwickelt, und die meisten Türken tragen diese Entwicklung mit.

Kennzeichen von Tyrannei/Diktatur sind die Anwendung von Gewalt im Inneren, Schutztruppen des Diktators und Verdrängung der Bürger aus dem politischen Raum und der Öffentlichkeit (unter anderem durch Abschaffung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit). Deshalb lässt Erdoğan seit Jahren politische Gegner und Protestierende aufgrund von "Aufruf oder Vorbereitung einer Revolte", "Präsidentenbeleidigung" etc. ins Gefängnis werfen, hat Polizei und Armee "gesäubert" und auf seiner Seite.

Dr. med. Thomas Lukowski, München

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Quelle:
SZ vom 24.07.2020
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