Süddeutsche Zeitung

Grundrente:Die Lebensleistung gerecht bewerten

Lesezeit: 3 min

Muss man eine Rente verdienen, auch wenn man sie nur aufstockt, damit es zum Leben reicht? Die Meinungen gehen auseinander. Manche finden die Grundrente ungerecht, weil sie Frauen, die unentgeltlich der Familie dienten, außen vor lässt.

Zu " Bis zu ein paar Hundert Euro im Monat" und " Schutz vor Armut" vom 12. November" sowie zu " Den Weg geebnet" vom 11. November:

Gesetz soll sofort gelten

Nun haben sich die Regierungsparteien auf eine Grundrente geeinigt. Sie soll aber an eine "Lebensleistung" von 35 Jahren Erwerbstätigkeit gekoppelt sein. Nur: Menschenwürde hängt nicht von einer Lebensleistung ab. Es muss für alle Rentner eine Regelung gegen die Altersarmut gefunden werden. Und wenn man etwas für erforderlich hält, setzt man es nicht erst ab 2021 in Kraft. Gerade jetzt, wo die Konjunktur schwächelt und Arbeitsplätze in Gefahr sind, wäre eine Stärkung der Binnennachfrage äußerst hilfreich. Sehen das die Schwarze-Null-Fanatiker nicht?

Werner Leucht, Neckarsulm

Eine Reform wäre besser

Das ist ein Wahlgeschenk, das ich als schlechte Lösung ansehe, besonders für die Jüngeren: Denn was ist die Grundrente anderes als ein Kompromiss, den die "Volksparteien" gemacht haben, als Versuch, Sympathie zu erhalten auf Kosten der Steuerzahler? Wäre es nicht besser, eine Reform des Rentensystems zu organisieren?

August Wehrmann, Ismaning

Wähler umgarnen

Wer gönnt nicht fleißigen Rentnern, dass sie endlich durch die Grundrente ein besseres Auskommen haben? Und bei den Parteien jedweder Couleur knallen die Sektkorken, wenn auch aus anderem Grund. Die Grundrente bietet ihnen auf Jahre, vielleicht Jahrzehnte, eine neue Möglichkeit, die Wähler zu umgarnen. Die Grünen fordern schon jetzt, die Grundrente mit 30 und nicht erst mit 35 Beitragsjahren zu gewähren. Das wird, zumindest vor jeder Bundestagswahl, so weitergehen. Auch am Freibetrag lässt sich herummanipulieren, und die Einkommensprüfung kann man jederzeit zur Disposition stellen.

Finanzieren wird dies alles einmal mehr die Masse der Normalverdiener und Kleinsparer; denn es werden eben nicht, wie ursprünglich behauptet, die Finanzprofis durch Besteuerung des Hochfrequenz- und Derivatehandels die Kosten für die Grundrente tragen, sondern Otto Normalverbraucher, der für ein paar Euro Fonds oder Aktien kauft, um seine Rente aufzubessern. Und auf die mageren Erträge, die er erhält, darf er weiterhin den Soli zahlen, was Herr Scholz nur sehr leise sagt. Das wird niemanden animieren, mehr Rücklagen zu bilden, und nachfolgende Generationen immer stärker belasten. Aus dem gesamten Rentendilemma gibt es nur einen Ausweg: Zahlen wir den Leuten für ihre Arbeit anständige Löhne, dann braucht auch niemand eine Grundrente.

Dr. Rainer Götz, Moers

Eine kapitalgedeckte Rente dazu

Schafft die Grundrente, wie Hendrik Munsberg meint, Vertrauen? Das hängt von den Erwartungen ab: Ältere Arbeitnehmer, die sich bereits damit abgefunden hatten, demnächst von Leistungen der Grundsicherung existieren zu müssen, können nun, nachdem ihnen ohne den demütigenden Gang zum Sozialamt immerhin zehn Prozent mehr zustehen sollen, gewaltig aufatmen. Alle durchschnittlichen Beitragszahler aber, die vielleicht erst in zwanzig oder dreißig Jahren in Rente gehen wollen und die ihre Erwartungen noch nicht auf das allerbescheidenste Niveau heruntergeschraubt haben, werden wegen der Grundrente sicher keine Freudensprünge machen. Denn die Unsicherheit, wie gut man mit durchschnittlichen Alterseinkünften in Zukunft noch zurechtkommen wird, die bleibt ja.

Ohne den Fortschritt für viele unmittelbar von absoluter Altersarmut Bedrohte kleinzureden, muss man deshalb feststellen, dass die allermeisten zukünftigen Rentner nichts von der jetzt beschlossenen Grundrente haben werden. Um deren Ängsten abzuhelfen, bräuchte es zum Beispiel wirklich leistungsfähige kapitalgedeckte und/oder sehr viel umfangreichere steuerfinanzierte Komponenten der Alterssicherung.

Axel Lehmann, München

Mütter und Minijobber bestraft

Es ist blanker Hohn, wie die SPD ihren Grundrenten-Kompromiss schönredet. Große Bevölkerungsgruppen werden davon ausgeschlossen - wie etwa Frauen, Mütter, die Betreuungsarbeit leisteten und leisten und deshalb mit Mini- und Teilzeitjobs und Berufsunterbrechung kaum auf 35 Jahre Vollberufszeit kommen. Zudem gab es lange Zeit keine flächendeckende Tagesbetreuung für Kinder. Die Frauen werden für das Versagen der Politik bestraft. Sie haben anscheinend nicht mal in der SPD eine Lobby - ein Skandal. Man muss den Frauen, Müttern, Omas zurufen: Empört und wehrt euch!

Gabriele Lauterbach-Otto, Überlingen

Eine Rente muss man verdienen

Eine Frechheit ist der Kompromiss zur Grundrente. Die Regierung hebelt die Rentenformel aus. Lebensleistung hat etwas mit verdientem Geld zu tun. Und wenn ein Rentner Bildung verweigert hat und deswegen weniger verdient hat, dann hat er eben auch nicht mehr verdient. Die Argumentation bezüglich des Niedriglohnsektors zieht gar nicht, weil es diesen für die heutigen Rentner nicht gab.

Warum verzichten Bundestagsabgeordnete nicht auf ihre Wahnsinnsdiätenerhöhung? Stattdessen müssen diese Wohltat wieder die Jungen zahlen, die arbeiten. Uns hätten sie die Steuern, die zu viel eingehen, zurückgeben sollen, wir halten die Volkswirtschaft am Leben. Diese Politik ist Willkür, nur weil es mehr ältere als jüngere Wähler gibt.

Petra Beck, Unterhaching

Nachteil für Hausfrauen

Diese Art der Grundrente ist ein Schlag ins Gesicht besonders der Mütter, die ihre Kinder selbst erzogen haben, kurz für alle die, die dem Arbeitsmarkt nicht uneingeschränkt zur Verfügung stehen konnten, um 35 Jahre lang Rentenbeiträge einzuzahlen. Die Rentenbezieherinnen mit Renten unterhalb des Existenzminimums sind oft Frauen, denen "Vati" bis 1977 (die Frau war "gesetzlich zur Führung des Haushalts verpflichtet") verbieten konnte zu arbeiten, unter anderem, da es so aussehen könnte, als wäre "Vati" nicht fähig, eine Familie zu ernähren, der sich dann später aber oft von der Familie verabschiedete, ohne Unterhalt für die Frau und die Kinder zu bezahlen, von einer Nachzahlung der Rentenbeiträge für die Frau ganz zu schweigen.

Mein Vorschlag: Über die Rentenversicherung lässt sich ganz einfach feststellen, welche Bezieherinnen unter dem Limit liegen, und denen wird die Rente automatisch aufgestockt. Basta!

Gerlinde Bittner, Hof

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4687156
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.