Süddeutsche Zeitung

Bundesverfassungsgericht:Wer hat das letzte Wort zur Geldpolitik der EZB?

Lesezeit: 3 min

Bundesverfassungsgericht und EuGH sind uneins über die Grenze von Staatsfinanzierung.

Zu " Wenn Karlsruhe sich mit halb Europa anlegt" vom 30. Juni:

Wichtige Grenzsetzung

Die Überschrift legt nahe, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht ein europäisches Problem darstellt. Dabei geht es doch um die in Deutschland und Nordeuropa geschätzte stabile Geldkultur. Frankreich, Italien, Spanien und das übrige Süd-Europa kommen aus einer von Inflation und Währungsabwertungen geprägten Tradition - man macht gerne Schulden.

Der Europäischen Zentralbank (EZB) ist nach dem Vertrag von Maastricht die Staatsfinanzierung verboten. Trotzdem dominieren die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank den europäischen Staatsanleihenmarkt inzwischen mit einer Quote zwischen 50 bis 30 Prozent - so die Wirtschaftspresse vom 29. Juni diesen Jahres. Das Bundesverfassungsgericht verlangte in seinem Urteil vom Mai 2020 eine Güterabwägung in der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und damit eine Begründung für die in Kauf genommenen Kollateralschäden.

Das Anleihekaufprogramm Pepp der Europäischen Zentralbank war der Aufhänger für das Bundesverfassungsgericht, um die Legitimation des Handelns der Europäischen Institution EZB auf der Grundlage der Europäischen Verträge zu überprüfen und deren Kompetenzen Grenzen zu setzen. Dafür sollten wir dem Bundesverfassungsgericht dankbar sein.

Rüdiger Vehof, Landesbankdirektor i.R., Erfurt

Bindung an Unionsrecht geboten

Die SZ scheint sich zunehmend in einer Haltung als Sprachrohr des Bundesverfassungsgerichts und kritischer Beobachter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu gefallen. Am 14. Juni sah Ulrich Haltern die Vertragsverletzungsklage der Kommission gegen Deutschland als " Prinzipienreiterei" und fast illegitim an. Am 30. Juni stieß Wolfgang Janisch ins selbe Horn. Aus seiner Karlsruher Perspektive wirft er dem EuGH "Zentralisierungsdrift" und Kompetenzanmaßung vor. Zwar wird der Vorrang des EU-Rechts grundsätzlich anerkannt, er wird aber zur Wahrung eigener Staatlichkeit auch schnell relativiert. Man wird wohl nicht ernsthaft behaupten können, dass mit der angeblich ungenügenden Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB die Staatlichkeit Deutschlands gefährdet war. Die Argumentation des Urteils war schwach, der Ton gegenüber dem EuGH anmaßend. So handelt man nicht in einem auf Augenhöhe angelegten Kooperationsverhältnis. Insofern hat Herr Janisch Recht, wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit dem EZB-Urteil die denkbar schlechteste Gelegenheit ausgesucht hat, den EU-Institutionen eine Überschreitung ihrer Kompetenzen vorzuwerfen.

Nicht zuzustimmen ist aber seiner Ansicht, der EuGH habe sich mit der Rechtsstaatskontrolle gegenüber Polen und Ungarn eine neue Kompetenz kreiert. Die Vertragsverletzungsklagen gegen diese Länder stützen sich zurecht auf die in Artikel 2 EUV festgelegten Rechtsstaatsprinzipien, zu denen auch die Unabhängigkeit der Justiz gehört. Man kann vielmehr dem BVerfG eine Kompetenzanmaßung vorwerfen, da es - seit dem Maastricht-Urteil von 1993 - über den Artikel 38 Grundgesetz jedem Bundesbürger einen Popularklageweg eröffnet, der dem einzigen Zweck dient, ihm ein letztinstanzliches Aufsichtsrecht über das Unionsrecht einzuräumen.

In der Sache geht es um die Frage, wer in der Anwendung und Auslegung des EU-Rechts das letzte Wort hat. Dies ist eindeutig im EU-Vertrag festgelegt (Art. 19 EUV). In einem Urteil würde der EuGH auf seine ständige Rechtsprechung hinweisen, wonach nationale Gerichte an seine Urteile in Vorabentscheidungsverfahren gebunden sind und diese Bindung zum Erhalt der Einheit des Unionsrechts geboten ist. Eine solche Entscheidung des EuGH hielte der frühere Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle für den Gipfel der Befangenheit. Es wäre aber die einzige Möglichkeit, das BVerfG an die Beachtung der in den EU-Verträgen festgelegten Rechtsordnung zu erinnern. Ob Karlsruhe aus diesem Konflikt gestärkt hervorgehen wird, scheint mir sehr zweifelhaft.

Johann Schoo, Luxemburg

Verfahren ist ein Treppenwitz

Dass sich Polen und Ungarn bei einer offenen Konfrontation zwischen BVerfG und EuGH die Hände reiben werden, ist zwar bedauerlich, aber nicht zu vermeiden. Denn der EuGH hat nicht den Mut aufgebracht, der EZB die Grenzen ihres Handelns aufzuzeigen, obwohl die Rechtsgrundlagen dafür vorliegen. Die im europäischen Recht festgelegten Kompetenzen wurden von der EZB überschritten (Ultra vires). Wie die anderen EU-Institutionen muss auch die EZB beaufsichtigt werden. Das BVerfG ist an dieser Stelle eingesprungen, da der EuGH die EZB offenbar als sakrosankt betrachtet und deshalb eine Rüge in der Sache unterlassen hat. Das von der EU- Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren, mit dem Deutschland nun genötigt werden soll, sein Verfassungsgericht an die Kandare zu nehmen, ist ein Treppenwitz in der Geschichte der Demokratie.

Erwin Voit, München

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SZ vom 08.07.2021
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