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Überlastung im Studium:Reif für die Klinik - schon vor dem Diplom

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Studieren bis zur Verzweiflung: Psychologische Beratungsstellen an Universitäten haben immer mehr Zulauf. Bachelor und Master sind daran nicht unschuldig.

Dass sie heute kurz vor dem Diplom steht, hat Larissa Roland (Name von der Redaktion geändert) vor drei Jahren nicht für möglich gehalten. Monatelang konnte sich die Informatikstudentin einfach nicht mehr aufraffen, zu ihren Vorlesungen zu gehen. Lustlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit das alles war langsam gekommen, aber am Ende einfach übermächtig.

Ohne professionelle Hilfe geht nichts

Als die heute 24-Jährige die Uni schließlich wieder betrat, stand sie nicht im Hörsaal, sondern in der psychologischen Beratungsstelle. Ohne professionelle Hilfe konnte sie ihr Studium nicht mehr bewältigen. Ein Gefühl, das immer mehr Studierende kennen: Laut dem Dachverband der deutschen Studentenwerke (DSW) ist die Zahl der psychologischen Beratungen allein im Jahr 2008 um 20 Prozent gestiegen.

Die Studentenwerke sind mit bundesweit 43 Einrichtungen einer der wichtigsten Ansprechpartner bei psychischen Problemen während des Studiums. Fast 24.000 Studenten meldeten sich zuletzt, um sich schriftlich, in Einzelgesprächen oder bei Gruppensitzungen beraten zu lassen. Die Probleme, die sie in die Sprechstunden führten, sehen laut DSW ganz unterschiedlich aus: Mal sind es depressive Phasen wie bei Larissa Roland, mal lähmende Ängste vor Prüfungen, immer häufiger aber auch eine ständige Ruhelosigkeit oder Erschöpfung.

Was mache ich zuerst?

Gerade Überlastungserscheinungen, die sich direkt auf die Studienanforderungen zurückführen lassen, haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Das DSW sieht deshalb einen Zusammenhang mit der Einführung der neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master. Zwar könne man nicht sagen, dass der Bachelor per se krank mache, betont DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Er erhöhe aber sicher den Zeit- und Leistungsdruck auf die Studierenden.

Eine Einschätzung, die Larissa Roland bestätigen kann: Die 24-Jährige studiert zwar selbst noch nach der alten Prüfungsordnung, unterstützt nach dem jahrelangen Besuch der psychologischen Beratungsstelle aber inzwischen selbst Studienanfänger mit Problemen: "In unserer Fachschaftssprechstunde höre ich von den Bachelor-Studenten immer wieder, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie zuerst machen sollen", erzählt Roland.

"Viele haben kaum noch Freizeit und sind völlig frustriert, zum Teil rebelliert sogar schon der Körper." Die Ursache für solche Probleme fassen Wissenschaftler mit zwei Wörtern zusammen: dysfunktionaler Stress. "Etwas Druck steigert Leistung und Motivation, zu viel Druck lässt beides radikal sinken", erklärt Hochschullehrer Rainer Holm-Hadulla.

Der Professor für psychotherapeutische Medizin leitet seit 20 Jahren die Beratungsstelle der Universität Heidelberg und sieht die veränderten Studienanforderungen ebenfalls kritisch: Zu volle Lehrpläne gefährdeten nicht nur den Studienerfolg, sondern letztlich auch die Persönlichkeitsentwicklung. "Das Studium ist für junge Menschen ja auch eine wichtige Phase, um Beziehungen zu knüpfen, Verantwortung zu übernehmen und eigenständig arbeiten zu lernen."

Weniger Hemmungen

Trotzdem können Holm-Hadulla und die anderen Berater ihrer Statistik auch etwas Positives abgewinnen: "Der Anstieg der Beratungen zeigt natürlich auch, dass die Studenten inzwischen weniger Hemmungen haben, solche Angebote zu nutzen", sagt der 58-Jährige.

Vor allem Frauen nähmen die Einrichtungen gut an, sie machen etwa Zweidrittel der Besucher aus. Um möglichst viele Studenten zu erreichen, sind die Gespräche in der Regel kostenlos; zudem können die Besucher auf Wunsch anonym bleiben. Neue Angebote wie eine Online-Beratung sollen die Hemmschwelle künftig noch weiter senken. Als erste Kontaktmöglichkeit wird das Internet schon seit Jahren erfolgreich genutzt.

Anonym und digital

"Ich fand es am Anfang schon deutlich leichter, eine E-Mail zu schreiben", erinnert sich Larissa Roland. Geschämt habe sie sich zwar nicht, aber das erste persönliche Treffen koste trotzdem viel Überwindung. "Man denkt ja immer, andere haben viel wichtigere Probleme und man sollte sich einfach mal zusammenreißen." Heute sieht die junge Informatikerin das anders: "Die Besucher der Beratung sind ja alle ganz normale Studenten. Jeder kommt schließlich mal an einen Punkt, wo es einfach nicht mehr weitergeht."

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