Süddeutsche Zeitung

Recht auf Feierabend:Abschalten!

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Arbeitsministerin Nahles erwägt eine Anti-Stress-Verordnung, um Arbeitnehmer vor E-Mails ihrer Chefs nach Feierabend zu beschützen. Aber Jobstress lässt sich nicht verbieten. Wer Freizeit will, braucht Disziplin.

Ein Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Es ist erstaunlich, wie oft Politiker unfreiwillig in Konkurrenz zu Kabarettisten treten. Schon der oft zitierte Koalitionsvertrag mit den schönen Plänen der großen Koalition versprach Wunderliches: Das Regierungsbündnis werde dafür sorgen, dass der Tourismus in Deutschland "ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis" bekomme. Auch solle "die Qualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrer" erhöht werden. Jetzt denkt die Arbeitsministerin über etwas nach, was einen Kabarett-Preis verdient hätte. Andrea Nahles erwägt eine Anti-Stress-Verordnung, um Arbeitnehmer vor E-Mails ihrer Chefs nach Feierabend und am Wochenende zu beschützen.

Sie wird es nicht schaffen, den Jobstress per Verordnung zu verbieten und aus der Welt zu schaffen. Deshalb ist ihr Vorhaben auch überflüssig wie ein Gesetz zur Hebung der Volkszufriedenheit. Der Druck der Menschen am Arbeitsplatz ist ein zu ernstes Problem, um mit Polit-Mätzchen dagegen anzutreten.

Aber die SPD hat ein Thema entdeckt. Die Anzahl der psychischen Erkrankungen nehme zu, weil Arbeitnehmer pausenlos erreichbar sein sollen, sagt Nahles. Dazu habe sie wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel fordert "ein Recht auf Feierabend". Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Guntram Schneider (SPD) will "einen politischen Rahmen, der die Erreichbarkeit von Beschäftigten außerhalb der Dienstzeiten festlegt". Auch die Gewerkschaften drängen auf ein Anti-Stress-Gesetz.

Dabei sah es so aus, als sei die Sommerflaute vorbei, als gebe es wichtigere Themen als die E-Mail-Pest von Vorgesetzten. Doch offenbar ist diese unerfreuliche Begleiterscheinung des digitalen Zeitalters wichtiger als Waffenlieferungen für die Kurden, Krieg am Ostrand der EU oder Sanktionen gegen Russland. Glücklich das Land, das solche Sorgen hat.

Ein Problem ist jedoch die Belastung der Menschen am Arbeitsplatz. Die Ansprüche an die Arbeitnehmer steigen, Ärzte und Krankenkassen beklagen die gesundheitlichen Folgen der wachsenden Dauerbelastung, die auch eine Folge wirtschaftlicher Konkurrenz im globalen Umfeld ist. Die Menschen steigern ihren Lebensstandard durch wachsendes Einkommen und bezahlen mit höherer Belastung im Job als Folge ständiger Produktivitätssteigerungen. Viele zahlen diesen Preis für den Erfolg der Industrie im globalisierten Markt aber auch mit dem Verlust des Arbeitsplatzes oder dadurch, dass sie nur noch prekäre Arbeitsverhältnisse, Mini-jobs oder Zeitverträge bekommen. Es gäbe viel zu tun für eine Arbeitsministerin.

Die Anzahl der Telefonanrufe, die lange Liste der E-Mails am Wochenende mag zum Problem geworden sein. Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit sind in vielen Betrieben und Branchen verschwommen. Das verleitet manchen Vorgesetzten dazu, seine Mitarbeiter mit Nachrichten und Anweisungen zu traktieren. Aber richtig ist auch, dass Übergriffe auf die Freizeit der Mitarbeiter schon jetzt nicht erlaubt sind. Kaum ein Bereich der Wirtschaft ist so strikt geregelt wie der Arbeitsmarkt.

Linien zwischen Privat- und Arbeitsleben wirken weltfremd

Das Arbeitszeitgesetz legt die maximalen Arbeitsstunden am Tag und in der Woche fest. Die Arbeitsruhe am Wochenende ist geregelt, und es gibt Schutzvorschriften für Nachtarbeit. Betriebsräte können eingreifen, wenn in einem Unternehmen die Chefs ihre Mitarbeiter sinnlos malträtieren. Längst haben viele Unternehmen selbst erkannt, dass es sinnvoll ist, die Mitarbeiter nach Büroschluss in Ruhe zu lassen.

Welt und Arbeitswelt haben sich verändert. In einem Beruf mag die Belastung durch E-Mails nach Feierabend ärgerlich sein. Im anderen sind nächtliche Nachrichten am Laptop für den Mitarbeiter Ausdruck neuer Freiheit, die es erlaubt, Arbeiten nach Hause zu verlegen. Das Verfließen von Arbeitszeit und Freizeit ist eine Zeiterscheinung, die nicht jedem missfällt. Deswegen wirkt das Beharren von SPD und Gewerkschaften auf klar definierten Linien zwischen Privat- und Arbeitsleben heute merkwürdig weltfremd.

Die Veränderung der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter darf deshalb aber nicht zu einer Anarchie führen, welche die Rechte der Arbeitnehmer aus den Angeln hebt.

Dass die Grenzen zwischen Job und Arbeit verschwimmen, verlangt vom Arbeitnehmer allerdings erhöhte Disziplin. Wo das Firmenhandy oder der Bürolaptop den Eindruck erwecken, auch zu Hause ständig im Dienst zu sein, gilt noch immer das schon jetzt bestehende Recht auf Feierabend. Man kann auch abschalten. Man muss es tun. Das ist rechtlich in Ordnung, und eine gluckenhafte Ministerin Nahles, die ihre Mitmenschen vor bösen Chefs retten will, wird für diese Lösung nicht gebraucht.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2014
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