Süddeutsche Zeitung

Nachteile von Home-Office:Allein, allein

Lesezeit: 4 Min.

Von zu Hause aus arbeiten - klingt toll? Microsoft wollte genau das umsetzen und seine Mitarbeiter im großen Stil ins Home-Office schicken. Doch die begehrten auf. Aus gutem Grund.

Von Varinia Bernau

Jeder soll arbeiten, wo er will. Das war der Plan, den Microsoft im Sommer verkündete, und er bedeutete für viele: in Zukunft von zu Hause aus. Doch der Plan hatte einen Haken. Er war nicht für den Alltag gemacht. Manche sagen sogar, er war ohne die Mitarbeiter entstanden. Er klang gut, aber er kam nicht gut an. Der Unmut unter den 500 Mitarbeitern, deren Büro geschlossen werden sollte, war so groß, dass Microsoft den Plan nun wieder aufgibt. Die drei Standorte in Böblingen, Bad Homburg und Hamburg bleiben erhalten, wenn auch in kleinerer Form.

Der Fall ist mehr als eine Provinzposse. Er zeigt, wie schwer sich Unternehmen tun, die Arbeitswelt für ihre Mitarbeiter neu zu erfinden. Wie sie sich im weltweiten Wettbewerb um die besten Talente mühen. Wie sie einerseits den Jungen, die selbst über ihren Terminkalender entscheiden wollen, Freiräume lassen, aber auch eine attraktive Arbeitsatmosphäre, eine Art Campus, bieten müssen - ohne die älteren zu verprellen.

Denn der Mensch ist eben nicht so flexibel, wie die Unternehmen ihn gern hätten. Und wenn das Misstrauen gegen die Manager erst einmal groß ist, dann wehren sich die Mitarbeiter. So wie bei Microsoft.

Wie muss ein Dienstwagen nun versteuert werden?

Bei dem Softwarekonzern, das geht aus Unterlagen hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, fühlten sich viele ganz einfach ausgebootet. Denn die Betriebsräte wurden erst einen Tag vor Bekanntgabe der Standortschließung informiert. Sie fühlten sich nicht einbezogen - zumal viele Fragen über Wochen offen blieben: "Es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber die Bürokosten auf seine Mitarbeiter abwälzt", empört sich einer. Dabei ging es um viel mehr als nur die Frage, wer das Home-Office wie ausstattet - und was jene machen, bei denen es zu Hause viel zu eng für ein Büro ist.

Wo liegt die Grenze zwischen einem Betriebs- und einem häuslichen Unfall? Wie muss ein Dienstwagen nun versteuert werden? Zu welcher Weihnachtsfeier reist der mobile Mitarbeiter - und welcher Betriebsrat ist bei Problemen sein Ansprechpartner?

Viele dieser Fragen führt nun auch Finanzchefin Anja Krusel in einer Mail an die Mitarbeiter an, verspricht, sie zu klären - und räumt ein: Die Absicht, drei Niederlassungen zu schließen, habe "viele Diskussionen und einige Unruhe ausgelöst, die wir bedauern."

Viele Mitarbeiter misstrauten Microsofts Plan. Sie wurden das Gefühl nicht los, dass das Versprechen von einer besseren Arbeitswelt letztlich nur den miesen Trick verbarg, sich unliebsamer Mitarbeiter zu entledigen - und jene von Anfang an ruhig zu stellen, die womöglich mal aufmucken würden. Wer allein zu Hause sitzt statt im Büro, der tauscht sich nicht mit den Kollegen aus. Und wer erst Hunderte Kilometer fahren muss, der holt sich auch nicht so schnell Unterstützung beim Betriebsrat. So dachten immer mehr Mitarbeiter bei Microsoft. Und manche glaubten auch, dass das, was das Unternehmen als selbstbestimmte Arbeit pries, viele überfordert.

"Dem Arbeitgeber ist es egal, wann und wo du arbeitest - so lange du lieferst", beschreibt es etwa Thomas Radermacher, Betriebsrat in Walldorf. Die Arbeitszeiten lägen schon jetzt jenseits dessen, was rechtlich in Ordnung sei. In den meisten Verträgen seien 40 Stunden in der Woche vereinbart, 50 bis 60 Stunden im Schnitt seien der Alltag.

In Zielvereinbarungen seien Leistungen festgeschrieben, die eigentlich nur mit Überstunden zu erreichen seien. Wer diese Ziele nicht erreiche, der habe bei internen Bewerbungen keinerlei Chancen aufzusteigen. Die Personalabteilung sei angewiesen, die Guten nur nicht gehen zu lassen - und die Schlechten irgendwie loszuwerden. Das verordnete Home-Office, so die Sorge, hätte dies noch verstärkt. Dort geht es schließlich nicht mehr darum, wie lange jemand im Büro sitzt - sondern darum, was er wirklich leistet.

Tatsächlich kommt eine Umfrage des Bürodienstleisters Regus zu dem Schluss, dass Mitarbeiter länger über den Unterlagen brüten, wenn sie das von zu Hause aus tun statt im Büro: Jeder fünfte gab dabei an, dass er im Home-Office im Schnitt länger als elf Stunden täglich arbeitet. Weil sie sich nur ein belegtes Brot holen statt mit den Kollegen in die Kantine zu gehen; weil sie schon am Schreibtisch sitzen, wenn die anderen noch in der U-Bahn sitzen, kommen die mobilen Mitarbeiter zumeist auf eine höhere Stundenzahl.

Wer, nur um Kosten zu sparen, aufs Home-Office setzt, dessen Mitarbeiter werden einsam - und darunter leiden auf lange Sicht auch die Ergebnisse, warnen Arbeitspsychologen. Denn es braucht auch den Austausch - und eine Atmosphäre, die diesen Austausch ermöglicht. Es ist nicht so, dass Microsoft das nicht bedacht hätte: In Berlin hat der Konzern gerade erst eine neue Niederlassung eröffnet, die eine Begegnungsstätte für Kunden, Politiker, Gründer sein soll - und dafür hat Microsoft mehr Geld ausgegeben als die Schließung der drei Niederlassungen erst einmal eingespart hätte.

Die Neuen tun sich schwer

Nicht nur bei Microsoft zeigt sich, wie schwer es ist, die Vorzüge von Freiheit und Flexibilität so umzusetzen, dass der Austausch und auch der Zusammenhalt in der Belegschaft nicht auf der Strecke bleiben: Bei dem Technologiekonzern IBM etwa haben viele einen mobilen Arbeitsplatz. Aber gerade diejenigen, die neu dabei sind, die die Kollegen nicht mehr aus einer Zeit kennen, als man sich noch ein Büro teilte, tun sich schwer damit.

Sie zögern, bei Problemen zum Telefon zu greifen. Und wenn sie es tun, dann hören sie die Zwischentöne nicht mehr raus. Sie sehen nicht das Grinsen, das einer Bemerkung womöglich die Schärfe nimmt. In den USA macht bereits ein Scherz die Runde, der die Sorgen der vereinsamten Mitarbeiter auf den Punkt bringt: Das Firmenkürzel IBM stehe für "I'm by myself" - ich bin allein.

"Firmenzentralen neigen dazu, bürokratisch zu werden - und genau das ist uns passiert. Eine Überdosis an Powerpoint-Präsentationen, überbordende Steuerung, formelle Berichterstattung, starre Hierarchien, Glorifizierung der Vergangenheit - all das hat sich auch in unsere Firmenkultur geschlichen", wetterte SAP-Gründer Hasso Plattner kürzlich in einer E-Mail an die Mitarbeiter - und sprach aus, wovon auch andere Manager ziemlich genervt sind.

Bei Microsoft hat man versucht, gegen diese Trägheit etwas zu tun, aber die Manager haben dabei viele Mitarbeiter vergessen. Büro, das verbinden die einen mit Routine, mit öden Meetings - und sie warten auf den Feierabend. Büro, das heißt aber für einige noch immer: Vertrauen und Verlässlichkeit.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2013
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