Süddeutsche Zeitung

Lohntransparenz:Geheimsache Gehalt

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Eine Umfrage zeigt: Die Deutschen sprechen lieber mit Familienmitgliedern statt mit ihren Kolleginnen über ihren Lohn - obwohl es erlaubt wäre. Was steckt hinter dem Schweigen?

Von Bernd Kramer, München

Der Mitarbeiter war noch keine zwei Jahre im neuen Job, da erhielt er eine Abmahnung. Er hatte das Unmögliche gewagt: Er hatte einem Kollegen sein Gehalt verraten - und damit aus Sicht der Firma gegen den Arbeitsvertrag verstoßen, Paragraf vier, Punkt vier, da hieß es: "Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die Höhe der Bezüge vertraulich zu behandeln, im Interesse des Arbeitsfriedens auch gegenüber anderen Firmenangehörigen." Über Geld spricht man nicht, die Firma untersagte es sogar ausdrücklich.

Doch der Gescholtene klagte - und bekam vor dem Landesarbeitsgericht in Rostock recht: Eine Schweigeklausel zum Gehalt ist unwirksam, befanden die Richter. Sonst hätten Beschäftigte keine Möglichkeit zu überprüfen, ob im Unternehmen fair bezahlt wird.

Mehr als zehn Jahre sind seit dem wegweisenden Urteil vergangen. Doch trotz klarer Plauder-Erlaubnis von der Richterbank meiden die meisten Menschen das Geldthema im Kollegenkreis weiterhin. Das zeigt eine Umfrage des Stellenportals Stepstone, das im vergangenen Dezember knapp 12 000 Personen online befragt hatte. Die Ergebnisse liegen der Süddeutschen Zeitung vor.

Freunde, Partner und Familie weihen die Befragten demnach durchaus in ihren Verdienst ein - die Kolleginnen und Kollegen eher nicht. 50 Prozent sagen, dass ihr Ehepartner das Gehalt kenne. Nur 18 Prozent der Befragten gaben dagegen an, dass auch die Menschen am Arbeitsplatz wüssten, was sie verdienen.

Wird man wirklich zufriedener, wenn man weiß, was die anderen verdienen?

Dabei gäbe es durchaus die Bereitschaft, das Schweigen zu brechen: 63 Prozent hätten kein Problem damit, wenn ihre Kollegen erführen, was sie verdienen. Es scheint zuzugehen wie beim Mikado: Alle warten, dass die anderen sich bewegen, und schweigen solange selbst.

Beim Berliner Start-up Einhorn, einem Vorreiter der Gehaltstransparenz, ist man weiter: Der Kondom-Hersteller hat die Löhne aller 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Tabelle niedergelegt, für jeden von ihnen jederzeit einsehbar. Ärger gebe es deswegen kaum, sagt Markus Wörner, der im Gehaltsrat des Start-ups über die Bezahlung wacht. "Ich habe früher im Verlag und im Fashion-Bereich gearbeitet und natürlich gab es den Flurfunk und Spekulationen über das Gehalt der anderen", sagt er. "Das war eine ständige Quelle des Misstrauens. Und das fällt bei uns komplett weg." Sein eigenes Gehalt nennt er umstandslos: 3008 Euro netto, damit sei er bei Einhorn im oberen Drittel. Und sehr zufrieden.

Selbstverständlich ist das nicht. Ein Team um den Ökonomen David Card von der University of California, Berkeley stellte in einer Studie fest, dass die plötzliche Offenheit eher zu Unbehagen führt - die Vorbehalte sind also durchaus nachvollziehbar.

In Kalifornien hatte ein Gericht 2008 Transparenz für den öffentlichen Dienst verordnet, eine Zeitung veröffentlichte sämtliche Gehälter daraufhin auf ihrer Website. Card und seine Kollegen wiesen nun zufällig ausgewählte Universitätsangehörige auf das Gehaltsregister hin. Die Mitarbeiter informierten sich daraufhin vor allem über den Verdienst der unmittelbaren Kollegen - was Beschäftigte anderer Institute und Fakultäten bekamen, interessierte weniger.

Als die Forscher die Mitarbeiter ein paar Tage später wieder kontaktierten, zeigten sich diejenigen mit vergleichsweise niedrigen Gehältern häufiger unzufrieden mit ihrem Job. Die Gutverdiener wurden dagegen kaum zufriedener, als sie ihre Stellung erfuhren. Es sorgt offenbar für Frust zu sehen, dass andere mehr bekommen.

Markus Wörner, der Gehaltsrat beim Start-up Einhorn, kann das nachvollziehen. "Das Problem ist aber nicht die Transparenz", sagt er. "Es geht eher darum, ob es nachvollziehbare Erklärungen für Unterschiede gibt." Bei Einhorn hat man ein festes Schema entwickelt, es gibt ein Grundgehalt und klar geregelte Zuschläge, etwa für Kinder oder Berufserfahrung. Die Liste mit den Gehältern gibt es weiterhin - als Kontrolle gewissermaßen, sagt Wörner. "Aber die meisten schauen eigentlich kaum noch rein."

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Quelle:
SZ vom 04.03.2020
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