Süddeutsche Zeitung

Ärztemangel:Nur nicht Rumänien!

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Osteuropa gehen die Ärzte aus. Zu wenig Gehalt, Korruption und mangelhafte Ausstattung lassen Mediziner in Scharen auswandern - zum Glück für Deutschland.

Klaus Brill

Die Botschaft ist knapp und klar: "Danke, wir gehen" - damit drohen 2500 tschechische Krankenhausärzte, die mit ihrer niedrigen Bezahlung und den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind. Gemeinsam wollen sie zum Jahresende kündigen, wenn bis dahin ihre Gehälter nicht kräftig erhöht werden. Ihr Schlachtruf beschreibt auch für andere Länder in Mittel- und Osteuropa ein akutes Problem. Seit sie in der EU sind, ist eine massive Abwanderung von Ärzten und Krankenschwestern in Gang gekommen, die in der reicheren Hälfte Europas ein besseres Auskommen finden. Auch Deutschland profitiert davon, weil so der Exodus des eigenen medizinischen Nachwuchses nach Skandinavien oder in die Schweiz wenigstens zum Teil ausgeglichen wird.

In den Herkunftsländern der wandernden Doctores reißt dies schmerzliche Lücken. In Tschechien können derzeit 700 Arztstellen nicht besetzt werden, auf dem Land ist die Zahl der praktischen Ärzte rapide im Sinken. In Bulgarien erklärte jüngst der Industrieverband die Lage im Gesundheitswesen für alarmierend. "Jeden Tag verlässt ein Arzt das Land", sagt die Gesundheitsministerin Anna-Maria Borissowa. Seit dem EU-Beitritt 2007 hat Rumänien 6000 Ärzte, Zahnärzte und Pharmazeuten an andere Länder verloren, wo ihre Ausbildung anerkannt wird. Tausende weitere haben laut Ärzteverband allein in der ersten Hälfte 2010 bei Jobmessen Vorverträge mit Vermittlern geschlossen. Mehr als 4000 Krankenschwestern sind ebenfalls gegangen.

Der Fall Rumänien zeigt, wo die Ursachen liegen. Ein junger Arzt verdient dort manchmal nur 350 Euro im Monat, wobei die Patienten aus Sorge um bestmögliche Behandlung meist aus eigener Tasche draufzahlen - so tief ist die Korruption ins Gesundheitswesen vorgedrungen. In Deutschland, Frankreich oder Großbritannien bekommt der Emigrant in vergleichbarer Position bis zum Zehnfachen, brutto jedenfalls. Gerade in Rumänien sind es auch die mangelhafte Ausstattung der Kliniken und die vielen Überstunden, die manchen jungen Mediziner zur Flucht veranlassen.

Schmiergeld für den Chirurgen

Dazu kommt, dass die Regierung jetzt für den öffentlichen Dienst, das medizinische Personal eingeschlossen, Gehaltskürzungen von 25 Prozent verkündet hat, um den Staatsetat zu sanieren. Anderswo ist der Unterschied zum West-Niveau nicht ganz so krass, aber immer noch erheblich. In Polen haben deshalb die Krankenschwestern schon mehrmals gestreikt und demonstriert.

Dramatisch ist die Lage allerdings auch in deutschen Kliniken, wo 5000 Arztstellen im Jahr 2009 unbesetzt blieben. "Mittlerweile gehen die Krankenhäuser so weit, dass sie jungen ausländischen Ärzten den Sprachkurs bezahlen, um überhaupt noch Mediziner zu bekommen", berichtet Robert A. Scherl, Inhaber einer Ärztevermittlung in Prag. Und Paul de Raeve, Generalsekretär der Europäischen Föderation der Krankenschwestern-Verbände, verlangt von der EU- Kommission, sie solle endlich einheitlich erheben, wie viele Pflegekräfte in welchen Ländern gebraucht werden.

Der Verschub führt zu Kettenreaktionen. Die Lücken, die sich in Bulgarien oder Tschechien auftun, werden mit Medizinern aus Weißrussland, der Ukraine, Russland oder Indien gefüllt - so werden die Probleme exportiert. Laut de Raeve droht Gefahr auch aus den USA: Dort werden nach Obamas Gesundheitsreform eine Million zusätzliche Krankenschwestern gebraucht.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2010
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