Süddeutsche Zeitung

Neue Substanzen:Badesalze für den Kick

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Künstliche Drogen aus dem Internet sind legal, obwohl Menschen daran sterben. Ein neues Gesetz soll helfen, die Stoffe zu bekämpfen - doch Dealer könnten schneller sein als der Staat.

Von Kathrin Zinkant

Es gab Zeiten, da wollte man wissen, welche illegale Droge man konsumiert. Für Cannabis, Kokain oder Heroin mag das immer noch gelten. Wer heute aber Päckchen mit der Aufschrift "Haze", "Kamasutra" oder "Amnesia" kauft, lässt sich wohl lieber auf eine Art legales Glücksspiel ein.

Denn was genau in diesen Räuchermischungen, Badesalzen oder Liquids aus dem Internet steckt und beim Rauchen oder Inhalieren dann berauschend wirkt - es bleibt das Geheimnis der Hersteller, und es bleibt legal. Die Stoffe, um die es dabei geht, heißen JWH-018, Apinaca oder 3-MMC, um nur ein paar zu nennen. Zusammengefasst werden sie als "neue psychoaktive Substanzen" (NPS) bezeichnet. Fast 100 dieser zuvor unbekannten Rauschmittel hat die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht allein im vergangenen Jahr aufgespürt. Meist handelt es sich um künstliche Cannabinoide.

Sie sollen ähnliche Effekte erzeugen wie Cannabis, also an die gleichen Rezeptoren im Gehirn binden. Eine andere wichtige Gruppe, die synthetischen Cathinone, imitieren den Wirkstoff von Kath, das unter anderem im Jemen eine Alltagsdroge ist. Chemisch unterscheiden sich die neuen Substanzen aber oft deutlich von den natürlichen Wirkstoffen - oder auch von anderen synthetischen Drogen, deren Wirkung sie nachahmen. Und das macht sie doppelt gefährlich.

Zunächst bleibt für jede NPS und ihre Darreichungsform völlig im Dunkeln, was abgesehen vom Rausch durch den Konsum zu befürchten ist. Welche Nebenwirkungen hat der fremde Stoff, wie hoch darf man ihn dosieren? Welche Gegenmaßnahmen lassen sich im Ernstfall ergreifen? All das muss der Nutzer selbst herausfinden. Experten sprechen davon, dass die Konsumenten als Versuchskaninchen missbraucht werden. Im Zusammenhang mit NPS kommt es immer wieder zu schweren, teils massenhaft auftretenden Vergiftungen.

Die Substanzen werden von Profis entwickelt, sie verändern sich ständig

Im Februar berichtete die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht von 13 Todesfällen und 23 schweren Vergiftungen durch das synthetische Cannabinoid MDM-CHMICA. Das synthetische Cathinon alpha-PVP wird in Europa mit insgesamt 200 akuten Vergiftungen und mehr als 100 Todesfällen in Verbindung gebracht.

So schwierig die NPS jedoch einzuschätzen sind, so schwierig ist auch ihre Bekämpfung. Drogenfahnder können die Stoffe meist nicht aufspüren, weil sie gar nicht wissen, wonach sie suchen müssen. Die Substanzen werden von Profis entwickelt, sie verändern sich ständig - und sie stehen deshalb auf keiner Liste. Anhaltspunkte ergeben sich zwar aus Analysen der Produkte, die in einschlägigen Internet-Shops angeboten werden. Sobald eine NPS jedoch identifiziert ist, wird sie schon durch eine neue ersetzt. Zudem enthalten zwei Päckchen Ware derselben Marke oft völlig verschiedene Substanzen.

"In Neuseeland hat man versucht, den Verkauf von Legal Highs zu autorisieren", sagt Ana Gallegos, die den NPS-Markt für die Europäische Drogenaufsicht in Lissabon analysiert. "Die Händler mussten anhand pharmakologischer und toxikologischer Tests nachweisen, dass ihre Produkte sicher für die Konsumenten sind. Und sie mussten Steuern zahlen". Das Experiment scheiterte, es kam dennoch zu Vergiftungen. Möglicherweise seien die Tests nicht streng genug gewesen, oder aber die Nutzer der Drogen hätten von den vermeintlich sicheren Produkten einfach zu viel genommen, vermutet die Chemikerin.

"Das bisherige Hase-und-Igel-Spiel beenden"

In Deutschland soll das Problem durch ein NPS-Gesetz entschärft werden, dessen Entwurf Anfang Mai vom Kabinett verabschiedet wurde. Anders als das Betäubungsmittelgesetz führt es in der Anlage keine Einzelstoffe auf, sondern die zwei wichtigsten chemischen NPS-Gruppen, also synthetische Cannabinoide und Cathinone. "Es werden ganze Stoffgruppen unterstellt, um das bisherige Hase-und-Igel-Spiel zu beenden", erklärt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler. Zuvor sei mit jeder Unterstellung eines Stoffes unter das Betäubungsmittelgesetz eine neue Substanz mit einer winzigen Moleküländerung vermeintlich legal auf den Markt gekommen.

Eine Kriminalisierung der Konsumenten ist mit dem neuen Gesetz allerdings nicht vorgesehen. "Der Konsum oder der Besitz in Kleinstmengen wird nicht bestraft. Sie werden aber eingezogen, um die Gesundheit nicht zu gefährden." Ob das Gesetz dauerhaft greifen kann, bleibt offen. Der aktuelle europäische Drogenbericht zeigt, dass synthetische Opioide und andere Substanzklassen bereits vermehrt im Handel auftauchen. Womöglich geht das Hase-und-Igel-Spiel einfach auf einer anderen Ebene weiter.

Wäre es vor diesem Hintergrund nicht naheliegend, zumindest bei den synthetischen Cannabinoiden den umgekehrten Weg einzuschlagen - und die häufig geforderte Liberalisierung von echtem Cannabis voranzutreiben? Marlene Mortler wehrt ab. "Der NPS-Markt ist so sehr in Bewegung, und zwar weltweit, dass unsere Cannabispolitik hierauf kaum Einfluss haben dürfte." Ana Gallegos zufolge fehlen belastbare Erkenntnisse, um einen solchen Schritt zu rechtfertigen.

Synthetische Cannabinoide sind billig

Und es bleibe anderes zu bedenken. "Synthetische Cannabinoide sind billig, sehr leicht erhältlich und durch das Marketing so zugeschnitten, dass sie die jüngere Bevölkerung anziehen". Die Stoffe seien insbesondere für Nutzer interessant, die sich regelmäßigen Drogentests unterziehen müssen oder ihren Stoff mit der Post geliefert bekommen wollen. Eine weitere Gruppe probiere außerdem ganz gezielt neue, starke Substanzen aus. Gallegos nennt sie "Psychonauten".

Wie lassen sich diese Menschen schützen? Die seriöse Drogeninformations-Website drugscience.org.uk rät allen, die gegen alle Vernunft nicht auf Legal Highs verzichten wollen, zumindest mit größter Vorsicht zu dosieren und Waren ohne Angaben über Inhaltsstoffe zu meiden. Man solle sich darüber hinaus genau überlegen, ob man wirklich sein Leben aufs Spiel setzen wolle - nur, um unter den Ersten zu sein.

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Quelle:
SZ vom 03.06.2016
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