Süddeutsche Zeitung

Schwindende Ressourcen:Die Bundesregierung muss nachhaltige Ernährung erzwingen

0,2 Eier pro Tag, sieben Gramm Schweinefleisch: Forscher zeigen auf, wie die Erde im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren kann. Bisher verlässt sich die Politik auf den mündigen Bürger - nötig wären schmerzhafte Einschnitte.

Kommentar von Berit Uhlmann

Drei Jahre lang haben knapp 40 Forscher an diesem Speiseplan der Zukunft gearbeitet. Sie haben im Fachblatt Lancet detailliert vorgerechnet, was der bereits jetzt geschundene Planet noch liefern kann, wenn er 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren muss. Die Forscher haben dazu zwei riesige Zukunftsthemen verknüpft: die schwindenden Ressourcen der Erde - eine Entwicklung, die zugleich eng mit dem Klimawandel zusammenhängt. Und die Fehl- und Überernährung, die mittlerweile in fast jedem Land verzeichnet wird.

Tatsächlich gehören beide Themen zusammen. Tragischerweise eint sie nicht nur die massive Gefahr für große Teile der Menschheit, sondern auch, was Lancet-Herausgeber Richard Horton so ausdrückt: Sie sind gleichermaßen "jedermanns und niemandes Problem". Soll heißen, jeder ist betroffen und keiner fühlt sich zuständig.

Es ist vor diesem Hintergrund sicher gut gemeint, dass die Forscher die Machbarkeit einer nachhaltigen Ernährung betonen, und dabei eine Art Einkaufszettel des Zulässigen vorlegen. 0,2 Eier pro Mensch und Tag sind demnach der Erde zuträglich, sieben Gramm Schweinefleisch, 25 Gramm Soja. Nur - und hier liegt die Gefahr eines großen Missverständnisses - darf die plakative Auflistung nicht den Eindruck hinterlassen, dass die Verantwortung allein bei den Kunden in den Supermärkten liegt.

Es ist illusorisch, zu glauben, dass sie künftig Buch über Eierhälften und Wurstscheiben führen. Man sollte auch nicht darauf setzen, dass sie ihr Abendessen nach Kriterien wählen wie dem für die Herstellung fälligen Wasser- und Phosphatverbrauch. Schon gar nicht, wenn Industrie und Handel sie gleichzeitig nach Kräften manipulieren. Gesunde Ernährung ist komplex und von vielen Faktoren abhängig, die der Einzelne ohne Hilfe nicht kontrollieren kann.

Die Erstzuständigkeit für diese Mammutaufgaben liegt daher bei der Politik. Das gilt ganz besonders für die Bundesregierung, die gerade in Ernährungsfragen extrem weit von jenem großen Wurf entfernt ist, der schon jetzt überfällig ist. Die Menge der verfügbaren Kalorien, die Ausgaben für Süßwarenwerbung, Übergewicht - das alles nimmt seit vielen Jahren zu, während die Bundesregierung nimmermüde den mündigen Bürger beschwört.

Was übersetzt ungefähr so viel heißt wie: Richtet es selber. Politiker aber müssen viel stärker lenken und auch schmerzhafte Einschnitte zulassen. Steuererhöhungen, Werbeeinschränkungen, Kennzeichnungspflichten und ein Bann von Transfetten gehören dazu. Nur wenn sie auf diese Weise klarmachen, wo ihre Prioritäten liegen, kann man auf die kollektive Anstrengung hoffen, die nötig ist, um die Erde vor dem Kollaps zu retten.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019
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