Süddeutsche Zeitung

Evolution:Wie der Mensch, so sein Bakterium

Lesezeit: 2 min

Dutzende Mikroorganismen begleiten den Menschen seit Zehntausenden Jahren - das ging nicht spurlos an ihnen vorüber.

Von Stefan Parsch

Dutzende Darmbakterien haben sich parallel zur Evolution des Menschen entwickelt - und viele Mikroben sind nun in hohem Maße von ihrem Wirt abhängig. Zu diesem Ergebnis kommt eine genetische Analyse, in der das Erbgut von Menschen aus Afrika, Asien und Europa mit dem ihrer jeweiligen Darmflora verglichen wurden. Bei 36 der untersuchten 59 Arten von Bakterien und Archaeen (Archaebakterien) stimmte die Abstammungsgeschichte überraschend gut mit der des Menschen überein. Das berichtet ein internationales Forschungsteam um Ruth Ley vom Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen in der Fachzeitschrift Science.

"Wir wussten bisher nicht, dass unsere Darmmikroben unserer Evolutionsgeschichte so genau gefolgt sind", wird Ley in einer Mitteilung ihres Instituts zitiert. Die Ergebnisse veränderten die Sichtweise auf die menschlichen Darmbakterien grundlegend, betont die Biologin.

Zwar war von einzelnen Mikroben wie etwa dem Magenkeim Helicobacter pylori bekannt, dass sie den Menschen schon seit Zehntausenden von Jahren begleiten. Aber dass so viele Bakterien ihre Entwicklungsgeschichte mit der des Menschen teilen, überraschte die Wissenschaftler. Denn die Ernährung der Menschen hat sich im Lauf der Zeit stark verändert, die Bevölkerung hat sich weltweit über verschiedene Klimazonen ausgebreitet, und auch der moderne Lebensstil hätte die Zusammensetzung der Darmflora stören können.

Manche Bakterienstämme sind stark abhängig vom Menschen

Das Team - darunter Forschende des Instituts für Tropenmedizin der Universität Tübingen und Partnerorganisationen in Vietnam und Gabun - sammelte zunächst Stuhl- und Speichelproben, auch von vielen Müttern und ihren kleinen Kindern. Hinzu kamen bereits vorhandene Daten von Menschen in Kamerun, Südkorea und Großbritannien. Insgesamt analysierten die Forscherinnen und Forscher genetische Daten von 1225 Menschen aus Afrika, Asien und Europa.

Anhand von mehr als 20 000 Varianten im Genom stellten sie Stammbäume auf. Den Erwartungen entsprechend hatten Menschen eines Kontinents ähnliche Genome, die auf eine gemeinsame Abstammung hinweisen. Ebenso erstellten Ley und ihre Kollegen Stammbäume von 59 Arten von Bakterien und Archaeen. Diese wiederum verglichen sie mit der Abstammungsgeschichte des Menschen.

36 Arten zeigten in ihrer Entwicklung Parallelen zur menschlichen Evolution. "Bemerkenswert ist auch, dass diejenigen Stämme, die unserer Entwicklungsgeschichte am engsten gefolgt sind, nun am meisten von der Darmumgebung abhängig sind", berichtet Ley. Diese Bakterien haben ein verkleinertes Genom und reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen der Temperatur und des Sauerstoffgehalts, was ein Überleben außerhalb des menschlichen Darms schwierig macht. Außerdem reagieren sie empfindlicher als andere Darmbakterien auf Antibiotika. Die Unterschiede der Darmflora verschiedener Menschen sollten bei Therapieformen wie der Stuhltransplantation stärker berücksichtigt werden, rät das Team.

In einem Science -Kommentar schreibt Andrew Moeller von der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York: "Die Ergebnisse unterstreichen, dass Gemeinschaften von Darmbakterien keine willkürlichen Ansammlungen von Bakterien sind, sondern die unterschiedlichen Vorfahren menschlicher Populationen widerspiegeln."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5659896
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.