Süddeutsche Zeitung

Medizin:70 Meter unter Wasser - ohne Pressluft auf dem Rücken

Lesezeit: 1 min

Von Felix Hütten

Wer lange Zeit ohne Pressluftfasche auf dem Rücken durch die Weltmeere tauchen will, hat streng genommen zwei Optionen. Erstens: das Lungenvolumen durch hartes Training steigern. Zweitens: die Zahl der roten Blutkörperchen erhöhen, die für den Sauerstofftransport verantwortlich sind.

Im Fachblatt Cell stellt nun ein Team um die Evolutionsbiologin Melissa Ilardo von der Universität Utah eine dritte Möglichkeit vor: eine große Milz. Ilardo untersuchte in Indonesien Menschen der Bajau, eines Volksstamms, dessen Mitglieder als sogenannte Seenomaden noch immer dem Meer verbunden sind - und von denen manche mit nicht mehr als einer Schutzbrille aus Holz bis zu 70 Meter tief tauchen können.

Beweis für eine genetische Anpassung des Menschen an extreme Tauchgänge

Die Forscherin prüfte mithilfe eines mobilen Ultraschallgeräts bei den Tauchern die Milz und verglich dies mit den Werten einer Kontrollgruppe. Das Ergebnis: Die Organe der Bajau-Taucher waren deutlich vergrößert. Denn in der Milz lagert der Körper sauerstoffgesättigte rote Blutzellen. Beim Tauchen im kalten Wasser kontrahiert das Organ und gibt diese frei und könnte damit die Tauchzeit um knapp zehn Prozent erhöhen, schreiben die Forscher.

Doch wie kommt es zu einer vergrößerten Milz? Um auszuschließen, dass sich das Organ der Taucher schlicht an die extremen Reize von außen angepasst hat, untersuchten Ilardo und ihre Kollegen die Gene der Taucher. In Zellen aus Speichelproben stießen sie auf eine Genvariante mit dem Namen PDE10A, die das Enzym Phosphodiesterase codiert. Dieses Enzym beeinflusst höchstwahrscheinlich - neben vielen anderen Aufgaben im Körper - die Ausschüttung des Schilddrüsenhormons Thyroxin. "Studien an Mäusen konnten zeigen, dass Schilddrüsenhormone und die Größe der Milz in Zusammenhang stehen", sagt Melissa Ilardo.

Sollte sich die Thyroxin-These erhärten lassen, wäre die Studie der erste Beweis für eine genetische Anpassung des Menschen an extreme Tauchgänge. Die Bajau-Taucher sind für die Forscher ein Glücksfall, weil eine Studie, in der Probanden extremem Sauerstoffmangel unterzogen würden, unethisch wäre. Die Wissenschaftler hoffen daher, mithilfe der Bajau in Zukunft noch mehr über die genetische Anpassung des Körpers an extreme Umweltbedingungen zu erfahren.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2018
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