Süddeutsche Zeitung

Medizin:Aufklären statt ablenken

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach steht in der Kritik. Doch anstatt die Vorwürfe restlos auszuräumen, entdeckt er plötzlich das Thema Impfschäden.

Kommentar von Werner Bartens

Die Sterne standen schon mal günstiger für Karl Lauterbach. Als der SPD-Politiker noch kein Gesundheitsminister war, konnte er als Talkshow-König glänzen. Er schoss von der politischen Seitenlinie aus besserwisserische Kommentare ab und gab den mit Studien und Harvard-Kontakten bewaffneten Mahner und Warner in Sachen Corona. Das Publikum liebte den nerdigen Professor mit dem rheinischen Singsang, der mit näselnder Beharrlichkeit zeigte, dass man es auch als Außenseiter weit bringen konnte. Als Zeichen seiner Volksverbundenheit hatte er zudem längst die Fliege abgelegt.

Seit er - quasi per Volksvotum - 2021 in der Ampelregierung Minister wurde, ist Lauterbachs Ansehen jedoch gesunken. Er muss entscheiden, kann nicht mehr nur kritisieren. Lauterbachs Vorschläge zum Notstand in den Kinderkliniken, zum Medikamentenmangel und zur Krankenhausreform sind mäßig bis miserabel ausgefallen. Als unglücklich muss zudem seine Kommunikationsstrategie bezeichnet werden, wenn man von Strategie reden will.

Über Impfschäden hätte er vor zehn Monaten oder zehn Wochen reden können

Schon länger gibt es Diskussionen um Lauterbachs Vita. Seit Tagen gibt es - umstrittene - Vorwürfe, der sonst so penible Minister habe seinen Lebenslauf geschönt und falsche oder ungenaue Angaben zu seinen Projekten, Veröffentlichungen und akademischen Meriten gemacht. Inzwischen sieht es so aus, als ließe sich einiges ausräumen. Zudem warten einige Lobbygruppen und Medien nur darauf, den Corona-Hardliner Lauterbach endlich stürzen zu sehen. Doch was macht der Minister? Anstatt unmittelbar und vollständig Transparenz zu schaffen, redet er über - Impfschäden. Erst Tage später äußert er sich zu einem Teil der Vorwürfe.

Über Impfschäden, die für den Einzelnen verheerend sein können, insgesamt jedoch nicht den Erfolg der Corona-Impfung schmälern, hätte der Minister vor zehn Monaten oder zehn Wochen reden können. Er weiß, dass dieses Thema polarisiert. Deshalb bleibt ein Nachgeschmack. Jetzt, da Lauterbach selbst in der Kritik steht, sein Dauerbrenner-Thema Corona aus dem Hut zu ziehen, kann nur als Ablenkungsmanöver bezeichnet werden. Sofort reiner Tisch statt Nebelkerzen wäre die bessere Option gewesen.

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