Süddeutsche Zeitung

Feinstaub:Feinstaub-Exzess durch Silvesterfeuerwerk

Lesezeit: 3 Min.

Erst die Böller, dann die Atemnot: An Neujahr liegt Deutschland unter einer bedrohlichen Feinstaub-Glocke. Umweltschützer fordern Konsequenzen.

Von Christoph Behrens

Zum Jahreswechsel häufen sich die guten Vorsätze: mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport treiben, allgemein mehr auf die Gesundheit achten. Doch vorher wird noch einmal kräftig gesündigt: Mehr als 100 Millionen Euro jagen die Deutschen zu Silvester in Form von Feuerwerkskörpern in die Luft, und das schadet nicht nur dem Geldbeutel: Mit der Böllerei belasten sie die Umwelt und sich selbst wie an keinem anderen Tag des Jahres. Rund 4000 Tonnen Feinstaub setzte das Silvesterfeuerwerk nach Schätzungen des Umweltbundesamtes frei, das entspricht 15 Prozent der Menge, die Autos und Lkw im ganzen Jahr erzeugen. Abgasaffäre? Hohe Schadstoffwerte gerade in den Innenstädten? Am Silvesterabend ist alles scheinbar vergessen.

Der Kater folgt am Neujahrstag: Unzählige Messstationen verzeichneten am 1. Januar 2017 Feinstaubwerte, die weit über dem EU-weiten Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter am Tag lagen. Im Zentrum Münchens wurde kurzfristig ein Wert von 1346 gemessen, auch in anderen Städten war die Belastung extrem. In Frankfurt erreichten die Werte in der Spitze 385 Mikrogramm, in Wiesbaden 503, im baden-württembergischen Bernhausen schwebten zeitweise 534 Mikrogramm Partikel in einem Kubikmeter Luft. Auch Leipzig, Gelsenkirchen und Leverkusen verzeichneten über den Neujahrstag hinweg Messergebnisse, die mehr als das Doppelte des europäischen Grenzwerts betrugen. Da landesweit kaum Wind wehte, blieben die Feinstaub-Glocken auch am Montag über vielen Orten hängen.

"Ein Vergiften der Luft, das nicht mehr zeitgemäß ist"

So herrschte etwa in Bayern und Baden-Württemberg eine besonders hartnäckige Inversionswetterlage: Kalte Luft hält sich in Bodennähe, die Luftschichten tauschen sich kaum aus, die Schadstoffe bleiben ebenfalls. Zudem fiel kaum Niederschlag, der den Feinstaub aus der Luft hätte entfernen können. Das Umweltbundesamt veröffentlicht täglich die Feinstaubmessungen auf einer Deutschlandkarte. Für den 1. Januar sind weite Teile Deutschlands rot eingefärbt. Hier wurden die Grenzwerte von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter gerissen. Einzig ganz im Süden über den Alpen war die Luft okay.

Experten warnen daher vor einer besonderen Gesundheitsbelastung in der Silvesternacht: Vorübergehend können die Schadstoffe die Atemwege beeinträchtigen, langfristig drohen Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Probleme durch die feinen Partikel. Feinstaub besteht aus einem komplexen Gemisch verschiedener Schadstoffe wie Ruß und Kohlenwasserstoffen. Teilchen mit einem Durchmesser von weniger als zehn Mikrometern (PM10) dringen bis in die Nasenhöhle und Luftröhre vor, noch kleinere Partikel (PM2,5) können sich sogar in den Bronchien und Bronchiolen ablagern, den feinen Verästelungen der Lunge.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass Feinstaub etwa bei jedem vierten Todesfall aufgrund von Lungenkrebs eine Rolle spielt, und bei 15 Prozent aller Schlaganfälle. Im Vergleich zu anderen Feinstaub-Quellen wie dem Straßenverkehr kommt beim Feuerwerk Schwarzpulver hinzu, das aus aus Kaliumnitrat, Schwefel und Holzkohle besteht. Außerdem sorgen Strontium-, Kupfer- und Bariumverbindungen, sogenannte Effektsätze, für das Knallen, Pfeifen und Leuchten am Himmel.

"Letztendlich ist es ein Vergiften der Luft, das nicht mehr zeitgemäß ist", sagt Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Städte wie Stuttgart oder München, die ohnehin Probleme mit der Luftreinhaltung hätten, müssten jede zusätzliche Belastung vermeiden, findet Resch. "Da hat ein Feuerwerk eigentlich nichts zu suchen." Neben der Luftbelastung bedeute das Feuerwerk auch erheblichen Stress, etwa für Tiere und Kleinkinder. Hinzu kommen Verbrennungen durch Unfälle mit Feuerwerkskörpern und Hörschäden. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete, dass jährlich 8000 Menschen in Deutschland zu Silvester Verletzungen des Innenohrs erleiden, ein Drittel davon trägt bleibende Schäden davon.

Professionelles Feuerwerk statt Amateur-Geböller?

Umweltschützer Resch fordert daher, "bestimmte Gebiete von Knallkörpern zu befreien", etwa mithilfe einer Satzungsänderung in Städten und Gemeinden. "Für die Zukunft erwarten wir deutlich mehr lenkende Maßnahmen von den Kommunen", sagt Resch. So sei neben Verboten denkbar, lediglich bestimmte Plätze für ein Feuerwerk freizugeben und die Innenstädte zu sperren, oder stattdessen gleich ein öffentliches Feuerwerk zu organisieren. Eine professionelle Pyro-Show würde auch die Umweltbelastungen geringer halten, argumentiert Resch. Profis setzen meist effektivere Feuerwerksbatterien ein, die weniger Unrat in der Natur hinterlassen.

Bislang geben sich die Behörden dagegen machtlos - die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg verweist in einer Pressemitteilung auf die Wetterlage als Hauptgrund für die schlechte Luft. Einzig der Nordosten Deutschlands scheint diesmal Glück mit der Luftbelastung gehabt zu haben. So verzeichneten in Berlin lediglich zwei von 16 Stationen eine Überschreitung des Tages-Grenzwerts, während in Sachsen etwa jede zweite Messstelle Alarm schlug. Dass zum Beispiel Berlin glimpflicher davonkam als der Rest des Landes, hat aber nichts mit Zurückhaltung beim Feuerwerk zu tun. "Über die Weihnachtstage sind relativ unbelastete Luftmassen aus dem Norden in die Region eingeflossen", sagt Rainer Nothard von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Diese geringe Grundbelastung habe die Lage wohl entschärft. "Das hätte bei einer anderen Wetterlage aber auch anders aussehen können", sagt Nothard.

Dabei müssten sich Kommunen nicht auf das Wetter verlassen. In Australien ist das längst anders. Der Bundesstaat New South Wales hat private Feuerwerkskörper bereits vor 30 Jahren verboten, die Stadt Sydney veranstaltet dafür ein Feuerwerk im Hafen, das weltberühmt geworden ist. Der Widerstand war zunächst groß gegen die Abschaffung der "Cracker Night". Die Jubiläumsendung im Fernsehkanal ABC kommentierte ein Zuschauer, der einst mutmaßlich gegen das Verbot war, mit den Worten: "Wenn ich an all die reizvollen Idiotien denke, die wir in der Cracker Night veranstaltet haben, erscheint es wie ein Wunder, dass wir überhaupt überlebt haben."

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Quelle:
SZ vom 03.01.2017
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