Süddeutsche Zeitung

Feinstaub und Stickoxide:Die Tatenlosigkeit der Politik ist das Problem

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Die Stellungnahme der angesehenen Wissenschaftsakademie Leopoldina im Abgasstreit ist ein klarer Auftrag an die Regierung. Sie soll Politik für jene machen, die unter den Folgen des Verkehrs leiden.

Kommentar von Markus Balser, Berlin

Als eine kleine Gruppe von 107 Lungenärzten und Motorentwicklern im Januar Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide attackierte, da reagierte Verkehrsminister Andreas Scheuer entschlossen. Die Grenzwert-Kritiker, die allen Ernstes sogar Gesundheitsgefahren der Abgase in Zweifel zogen, hätten "Fakten" in die Debatte eingebracht, lobte der Minister schnell. Die Stellungnahme der angesehenen Wissenschaftsakademie Leopoldina im Abgasstreit zeigt nun jedoch sehr deutlich, dass weder die Lungenärzte und die industrienahen Motorenentwickler noch Scheuer mit belegbaren Fakten hantierten. Getrieben waren sie wohl eher vom Ziel, Fahrverbote mit allen Mitteln zu verhindern.

Mit dem Votum ziehen die Forscher endlich auch einen Grenzwert für die politische Debatte im Abgasstreit ein. Das Urteil der 20 Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen fällt eindeutig aus: Weder die Grenzwerte für NOx noch für Feinstaub sollte die Politik in Frage stellen, schon gar nicht aufweichen. Im Gegenteil: Beide Stoffe sind für die Gesundheit ein ernstes Problem. Sie können Atemwegserkrankungen auslösen, Feinstaub kann sogar zu Herz-Kreislauf-Problemen, Diabetes oder auch Lungenkrebs führen. Weil die Gefahren größer sind als gedacht, müssen die Grenzwerte beim Feinstaub sogar verschärft werden. Auch die Diskussion um die Standorte der Messstellen sollte enden. Die Luft muss überall in den Städten Qualitätskriterien entsprechen.

Für Verkehrsminister Andreas Scheuer, aber auch für die Politik generell, ist das Votum der Experten der klare Auftrag, sich künftig an tatsächlichen und nicht an erwünschten Wahrheiten zu orientieren. Doch auch die Öffentlichkeit muss in den Augen der Forscher umdenken. Nicht die Stickoxide, die zu Fahrverboten führen können, sind das größte Problem für die Bewohner der Städte. Feinstaub ist die viel größere Gesundheitsgefahr.

Vor allem aber ist das Votum der Forscher als Auftrag an die Regierung zu verstehen, mehr Politik für die zu machen, die unter den Folgen des Verkehrs leiden. Bisherige Maßnahmen wie kleinteilige Fahrverbote für einzelne Straßen in Problemstädten zerpflücken die Forscher als wenig wirkungsvoll. Denn der Verkehr rollt dann durch andere Straßen. Es muss um den großen Wurf gehen - ein Konzept für bessere Luft im ganzen Land.

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