Süddeutsche Zeitung

Studienplatzvergabe:Veraltet, schwerfällig, unsicher

Lesezeit: 4 min

Von Susanne Klein, München

Einen Flug zu suchen und zu buchen ist leicht: Reiseportale informieren über Ziele und Routen, sichten Tausende Flüge, bieten je nach den eingegebenen Filterkriterien Verbindungen und deren Buchung an. Eine Selbstverständlichkeit? Genauso einfach müssten doch junge Menschen passende Studienplätze suchen, finden und sich dafür bewerben können. Ganz besonders dann, wenn sie um Plätze in einem Fach konkurrieren, das begehrt und deshalb zulassungsbeschränkt ist. Auf alle Medizinstudiengänge und auf gut jeden vierten der 10 500 Bachelor-Studiengänge trifft genau das zu.

In Großbritannien, der Schweiz und Schweden existierten bereits Portale, in denen sich junge Menschen mit wenigen Klicks orientieren und bewerben können. "Wenn Sie aber in Deutschland verschiedene Studiengänge recherchieren wollen, kriegen Sie die Krise", erklärt Wilfried Juling, Informatikprofessor aus Karlsruhe. "Sie müssen online und telefonisch an lauter verschiedenen Stellen Informationen zusammenkratzen, verheddern sich in schwer verständlichen oder gar widersprüchlichen Angaben und hinterlassen überall Ihre Daten."

Ein Bewerber muss sich durch ein Labyrinth bewegen

Dabei hatte die von Ländern und Hochschulen eingerichtete "Stiftung für Hochschulzulassung" in Dortmund, die den Zugang zu Studienfächern mit Numerus clausus (NC) erleichtern soll, schon vor zehn Jahren angekündigt, dass diese Misere ein Ende haben solle. Doch das damals initiierte "Dialogorientierte Serviceverfahren" (DoSV), das auf dem Onlineportal Hochschulstart.de für eine reibungslose Platzvergabe sorgen sollte, tut sich mit dem Funktionieren nach wie vor schwer. Selbst Holger Burkhart, Rektor der Universität Siegen und seit Kurzem Vorsitzender der Stiftung, gibt zu: "Unser Problem ist: Ein Bewerber muss sich durch ein Labyrinth bewegen, bis er ein Zulassungsangebot bekommt."

Der IT-Beirat, den die Stiftung vor einem Jahr berief, hat ihr nun bescheinigt, sich verrannt zu haben: Die Software-Architektur sei veraltet, schwerfällig, unsicher und nur als "Provisorium" hinnehmbar, heißt es in der Expertise des Beirats, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. 15 Millionen Euro hatte der Bund einst dafür spendiert, weitere Millionen in nicht näher beziffertem Umfang haben die Länder darin versenkt. Es sei "über die kommenden Jahre dringend zu erneuern", mahnen die Experten des IT-Beirats, dessen Vorsitzender Wilfried Juling ist.

Fünf Jahre für den Neustart? In der Digitalisierung eiine Ewigkeit

Frühestens zum Sommersemester 2025 könnte ein zeitgemäßes Serviceverfahren online gehen, schätzt Juling. Und das auch nur, wenn Länder und Hochschulen den Empfehlungen des IT-Beirats so schnell ihren Segen geben, dass die Entwicklung einer neuen Software-Architektur im Sommer beginnen kann. "Ich bin sehr optimistisch, dass wir das schaffen", sagt der Stiftungsratsvorsitzende Burkhart, die Stiftung selbst stehe hinter den Plänen der Experten für einen "radikalen Schnitt". Zu den Kosten will Burkhart nichts sagen, "wir haben noch keine Abschätzung machen können". Auch davon wird es abhängen, wie die Chancen für einen tatsächlichen Neustart stehen.

Und selbst wenn dieser Start gelingt: Fünf Jahre sind angesichts der Digitalisierung eine Ewigkeit. So lange, wenn nicht länger, müssen Bewerber noch mit dem Übergangssystem vorliebnehmen. Und so lange müssen Hochschulen, deren eigene IT-Systeme mit DoSV kommunizieren, damit leben, dass diese Kommunikation nicht rund läuft. Von Beginn an war das Verfahren mit Problemen behaftet, die zumeist bis heute ungelöst sind. Noch immer vergeben Unis einen Gutteil ihrer NC-Studienplätze lieber selbst, als sie dem DoSV anzuvertrauen; wegen Überbuchungen müssen Hochschulen manchmal mehr Studierende annehmen, als sie Plätze hatten; Studiengänge mit mehreren Fächern, etwa fürs Lehramt, überfordern das System; überlange Wartezeiten bis zur Zu- oder Absage strapazieren die Bewerber; Tausende begehrte Studienplätze blieben unbesetzt, obwohl Interessenten abgesagt wurde - nur in Nachrückverfahren und Studienplatzbörsen konnten sie noch versuchen, ihr Glück zu machen.

Das Urteil des IT-Beirats ist vor allem deshalb brisant, weil in ausgerechnet dieses System soeben das Verfahren für Medizinstudiengänge integriert worden ist. Geplant war das ohnehin, aber dann ordnete das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2017 an, die bundesweit zentral vergebenen Medizinstudienplätze spätestens ab dem Sommersemester 2020 gerechter zu verteilen. Das verkompliziert das Verfahren um hochdiffizile Faktoren, zum Beispiel einen verfassungsgerechten Algorithmus, der bei der Errechnung von Abiturranglisten ausbügeln soll, dass die Länder Abiturienten sehr unterschiedlich benoten. Mit Hochdruck ließ die Stiftung ihr DoSV anpassen, das bis dato nur auf Studienplätze ausgerichtet war, bei denen Bewerber dezentral konkurrieren - an Hochschulen mit jeweils eigenem lokalen NC, etwa für BWL oder Jura. Immerhin wurde diesmal der Termin gehalten. Seit dem 1. Dezember müssen sich auch Medizininteressenten im DoSV bewerben.

"Jeder normale Mensch würde sagen: Was in der Stiftung alles schiefgegangen ist, kann eigentlich gar nicht alles passiert sein", sagt Torsten Preuss, Leiter des Studierendensekretariats der Universität zu Köln. Der Integration der Medizinstudienplätze in das System hält er immerhin zugute, dass sich junge Menschen nun für alle vier Fächer - Human-, Tier-, Zahnmedizin und Pharmazie - bewerben könnten, und das an beliebig vielen statt wie bisher nur sechs Standorten. "Das ist eine Verbesserung im Sinne des Bundesverfassungsgerichts. Es hatte betont, dass es mit dem Grundrecht auf freie Berufswahl unvereinbar ist, wenn sich Bewerber nicht für alle Fächer und Orte bewerben können." Ein exzellenter Kandidat könne so viel mehr Studienangebote bekommen als früher.

Ein System, das seit jeher im Reparaturmodus läuft

Aber Preuss sieht in dem Verfahren auch einen großen Nachteil. Die meisten Portalnutzer wüssten nicht, dass das System die Wunschuniversitäten automatisch danach priorisiert, in welcher Reihenfolge sie eingegeben wurden. Wer nicht aktiv umsortiere, lande am Ende womöglich an der Hochschule, die er am wenigsten wollte - weil das System rangniedrigere Angebote unverzüglich löscht.

Zudem sollten Bewerber ein paar Tage Zeit haben, über Zulassungsangebote egal welcher Priorität nachzudenken, fordert Preuss. "Das sind sehr junge Leute, die müssen noch mal mit Mama und Papa reden. Oder sie machen gerade Urlaub und kriegen gar nicht mit, dass ihnen eine Zwangszulassung droht, wenn sie nicht sofort eingreifen."

In der Stiftung macht man sich derweil andere Gedanken. Bis 23.59 Uhr am 15. Januar läuft die Medizin-Bewerbungsfrist noch. Schlag Mitternacht startet die Verteilung der Studienplätze - erstmals mit den neuen, faireren Wettbewerbskriterien. Abiturnote, NC-Länderquoten, Sozialdienst, Berufsausbildung, Auswahlgespräch, alles spielt eine Rolle. Eigentlich müssten sich Hochschulen und Stiftung nun permanent in Echtzeit austauschen, doch das gibt das System nicht her, ein punktueller Datenabgleich soll genügen. Und nicht jedes Kriterium muss gleich voll zum Einsatz kommen, Einschränkungen aus technischen Gründen sind übergangsweise erlaubt.

Von 16. Januar an wird also ein System über Medizinstudienplätze entscheiden, das von jeher im Reparaturmodus läuft. Wird es die hochkomplexe Operation bewältigen - oder dabei in die Knie gehen? "Die Frage ist nicht ob, sondern wie gut es funktioniert", sagt Holger Burkhart. In Anbetracht der Stiftungsgeschichte klingt das geradezu optimistisch.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4736619
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.