Süddeutsche Zeitung

Israel:Im Sog der Politik

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Israels Regierung mischt sich immer wieder in die Wissenschaft ein. Forscher sehen ihre Unabhängigkeit in Gefahr. Selbst Berlin pocht nun auf ein neues Bestellungsverfahren für die gemeinsame Stiftung.

Von Alexandra Föderl-Schmid

"Ich bin sehr besorgt. Dass wir als Wissenschaftler in einer Situation sind, in der wir uns gegen den für uns zuständigen Minister verteidigen müssen, hätte ich nie gedacht. Es geht um die Unabhängigkeit der Wissenschaft gegenüber der Politik", sagt Nir Gov. Der Physik-Professor am Weizmann-Institut bezieht sich auf den Auftritt von Wissenschaftsminister Ofir Akunis vergangenen Sonntag vor dem Obersten Gerichtshof Israels. Das Gericht befasste sich mit einem bemerkenswerten Fall, der auch Thema beim Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu Anfang Oktober in Jerusalem war. Gov hatte eine Protestpetition initiiert, die von 460 israelischen Wissenschaftlern unterzeichnet worden war.

Selbst Berlin pocht nun auf ein neues Bestellungsverfahren für die gemeinsame Stiftung

Es geht um die Neubesetzung des Kuratoriums der Deutsch-Israelischen Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung (GIF) auf israelischer Seite. Anfang Juli hatte Akunis die von seinem Büro bereits bestätigte Bestellung der renommierten Gehirnforscherin Yael Amitai von der Universität Beersheba zurückgezogen - aus politischen Gründen. Der Politiker der rechten Likud-Partei warf ihr vor, sie habe 2005 eine Petition unterzeichnet, die zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen habe. Daraufhin hatten sich Amitai und das Komitee der Hochschulrektoren an das Oberste Gericht in Israel gewandt.

Vor Gericht wird ein Minister normalerweise vom Generalstaatsanwalt vertreten. Aber Avichai Mordechai weigerte sich - ein ungewöhnlicher Akt. Er bezeichnete die Entscheidung des Ministers als unangemessen und rechtlich nicht zu verteidigen. Er argumentierte, Akunis könne nicht gegen eine Bestellung, die aus fachlichen Gründen erfolgt sei, aus politischen Gründen ein Veto einzulegen. Der Generalstaatsanwalt warnte Akunis vor einem "abschreckenden Effekt auf die Meinungsfreiheit".

Der Generalstaatsanwalt verweigerte Akunis die Bestellung eines externen Verteidigers. Das Gericht machte jedoch eine ungewöhnliche Ausnahme und ließ zu, dass der Minister selbst seine Entscheidung verteidigen durfte. Akunis warf Amitai erneut vor, zur Wehrdienstverweigerung aufgerufen und diese Position jüngst in Interviews wiederholt zu haben. "Als Professor Amitai gefragt wird, ob sie den Staat repräsentiere, sagte sie, das tue sie nicht." Der Aufruf zur Wehrdienstverweigerung sei "ein Aufruf, ein Verbrechen zu begehen, das ist ein Gesetzesverstoß".

Rachel Ben Ari, die Anwältin des Komitees der Hochschulrektoren, warf dem Minister vor, selektiv zu zitieren. Amitai habe sehr wohl gesagt, sie sei "ein Teil des Landes", agiere aber nicht als öffentliche Person wie eine Art Botschafter Israels. Wie zuvor Amitai selbst und auch der Generalstaatsanwalt erklärte die Anwältin, die Petition enthalte keinen Aufruf zur Wehrdienstverweigerung. In der Petition hatten die Unterzeichner Sympathie für Studenten und Dozenten bekundet, denen Konsequenzen drohten, wenn sie den Einsatz in den von Israel besetzten Gebieten im Westjordanland verweigerten. Ihnen wird auch Unterstützung zugesagt.

Amitai war bei der Anhörung vor Gericht anwesend. Sie will öffentlich nicht mehr viel sagen, um dem Minister nicht noch mehr Stoff zu liefern. Nur soviel: Sie wirft dem Minister "politische Korruption" vor. Akunis wolle den Fall politisch instrumentalisieren und sich selbst inszenieren. Das Gericht setzte eine weitere Anhörung für Dezember an und erließ die Order, dass Akunis bis zu einer endgültigen Entscheidung niemanden für die Position benennen darf. Als weiteres Kuratoriumsmitglied hatte Akunis mit Jehuda Skornick einen emeritierten Chirurgieprofessor bestellt, der 2002 Tel Aviv in der rechtsgerichteten Bewegung "Jüdische Führung" vertrat und bis 2009 im Kuratorium der Siedlerorganisation "Jüdischer Kopf" war.

In der von den Wissenschaftlern unterschriebenen Protestpetition wird dazu aufgerufen, die GIF so lange zu boykottieren, bis Amitai ihre Kuratoriumsposition einnehmen kann. Gov ruft die deutsche Seite auf, darauf zu drängen, das Bestellungsverfahren zu ändern. Als die Stiftung gegründet wurde, "hat niemand annehmen können, dass es einmal einen Missbrauch für politische Zwecke geben wird". Auch die zwei deutschen Professorinnen, Ute Frevert von der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin und Brigitte Röder von der Universität Hamburg, die im August aus Protest gegen Akunis' Entscheidung aus der Stiftung ausgetreten waren, hatten klare Regeln für die Bestellung gefordert.

Wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung mitteilte, habe Staatssekretär Thomas Rachel bei den Regierungskonsultationen am 4. Oktober in Jerusalem vorgeschlagen, "ein neues Verfahren zu entwickeln, in dem in beiden Ländern eine unabhängige Forschungsorganisation einbezogen werden soll". Die GIF habe seit ihrer Gründung "einen hohen Stellenwert für die deutsch-israelischen Beziehungen in Wissenschaft und Forschung. Es ist und bleibt die Auffassung des BMBF, dass alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der GIF rein auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und Exzellenz getroffen werden müssen".

Die Stiftung wurde 1986 mit einem Kapital von 150 Millionen Mark gegründet. Forschungen werden mit den Zinserträgen des Stiftungskapitals finanziert. Dem Kuratorium stehen beide Wissenschaftsminister sowie ihre Stellvertreter vor. Hinzu kommen jeweils drei Wissenschaftler.

Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in Israel ist gespannt - sollte es zu Neuwahlen und den in diesem Fall erwarteten Zugewinnen rechter Parteien kommen, dürfte es sich noch weiter verschärfen. Der Fall Amitai ist dabei nicht der einzige Konflikt. Just bei der Feierstunde zum 60. Jahrestag des Rates für höhere Bildung vor einer Woche attackierte Bildungsminister Naftali Bennett das Gremium öffentlich. Der Rat, den die acht Universitäten des Landes gemeinsam bilden, sei ein "geschlossener Klub", schimpfte Bennett, der auch Chef der Siedlern nahestehenden Partei "Jüdisches Heim" ist. "Dieses Kartell muss aufgebrochen werden."

Im September gab es Protest gegen eine Konferenz in Ariel - sie legitimiere die Siedlungspolitik

Hintergrund ist die Weigerung des Rats, die Universität Ariel formal in ihren Reihen aufzunehmen. Dabei hatte Bennett, der dem Gremium vorsteht, bereits damit begonnen, ihm widersprechende Ratsmitglieder auszutauschen. Bei der Veranstaltung wies Präsident Reuven Rivlin Bennetts Angriff auf die Universitäten zurück: "Das sind die Institutionen, die der größte Stolz des Landes sind." Der Präsident stellte klar: "Es gibt das gemeinsame Ziel in Israel, exzellente unabhängige Bildung zu ermöglichen, die frei von politischem Einfluss ist und den Mut hat, sich etwas zu trauen."

Ariel ist mit rund 20 000 Einwohnern eine der größten israelischen Siedlungen im Westjordanland. Seit 2012 wird das frühere College als Universität geführt: mit fünf Fakultäten und 26 Instituten, 15 000 Studenten und rund 400 Dozenten. Als dort im September eine Konferenz über Teilchenphysik angesetzt wurde, protestierten Wissenschaftler gegen den Tagungsort, "weil damit durch Wissenschaft die israelische Besatzung legitimiert werden soll". Initiator Ofer Aharony, Physikprofessor am Weizmann-Institut, erzählt, dass er anschließend vorgeladen worden sei und erklären musste, hier nicht für das Institut, sondern als Privatperson zu agieren.

Von der Terrasse von einem der Institutsgebäude in Ariel hat man einen Blick auf das benachbarte palästinensische Dorf Marda und auf die Baustelle des neuen medizinischen Instituts. Dieses Institut hat Bennett im Rat durchgesetzt. Nicole Greenspan, die für die Uni-PR zuständig ist, erklärt dass sich dadurch auch die medizinische Versorgung für die Palästinenser in der Umgebung verbessere. Zu dem Disput zwischen Rat, Minister und Präsident meint sie: "Es ist, wie es ist. Wir sind eine offene Universität. Die Forschung geht weiter." Es sei auch bedauerlich, dass der Universität Ariel der Zugang zu Forschungsgeldern aus der EU und den USA nicht offen stehe. "Und das nur wegen der Lage der Universität, auch wenn Palästinenser von unserer Forschung profitieren könnten."

Für Nir Gov zeigen die beiden Fälle Amitai und Ariel etwas Prinzipielles: "Die Politisierung der israelischen Wissenschaft. Dagegen müssen wir uns wehren, sonst droht ein Desaster."

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018
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