Süddeutsche Zeitung

Austausch zwischen Ost und West:Lasst die Schüler rübermachen

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Die Idee von Thüringens Kultusminister zu einem Austausch zwischen neuen und alten Ländern ist längst überfällig. Auf die Schüler wartet ein Abenteuer, denn Ost und West sind noch immer zwei getrennte Welten.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Es ist die große, weite Welt, die sich beim Schüleraustausch eröffnet. Da lockt die Highschool in den USA, in Südafrika, Kanada, Costa Rica, China und anderen fernen Ländern. Ein Hauch von Exotik, Staunen inklusive, Abenteuer garantiert. Doch nun soll es in die andere Richtung gehen - wenn es nach dem neuen Präsidenten der deutschen Kultusministerkonferenz geht: Helmut Holter (Linke) schlägt einen Schüleraustausch zwischen Ost und West vor, zwischen den neuen und den alten Bundesländern. Also zwischen Leipzig und Stuttgart beispielsweise.

Das ist sinnvoll, überfällig und verspricht, für Schüler ein ebenso spannendes Abenteuer zu werden. Denn 27 Jahre nach der deutschen Einheit gibt es immer noch große Unterschiede, wirtschaftlich wie kulturell.

Ein Schüleraustausch zwischen Ost und West dürfte für viele wie eine Expedition zur Terra incognita werden, für Schüler aus den neuen Bundesländern genauso wie für jene aus den alten.

Schon vor der Wende gab es "Austauschprogramme"

Die Idee ist nicht neu: Schon vor der Wende gab es Austauschprogramme zwischen Schulen, meist Gymnasien, der BRD Richtung DDR. Auf der Transitstrecke holperten die Schüler Richtung Jena bis Frankfurt/Oder. Dort diskutierten sie unter wachsamen Blicken des Aufsichtspersonals mit FDJlern über Kapitalismus, probierten ihre ersten Bissen Goldbroiler und Löffel Soljanka und kehrten voller neuer Eindrücke zurück. Einige Schulen pflegten die Kontakte, oft auf persönlicher Ebene, nach der Wende weiter. Die meisten Programme jedoch wurden eingestellt. Das war ein Fehler.

Helmut Holter, der thüringischer Bildungsminister ist, hat die Notwendigkeit erkannt, den "innerdeutschen Dialog zu fördern", wie er es nennt. Ost und West redeten viel zu wenig miteinander - über das, was früher war und heute ist. Heute ist: immer noch ein großer wirtschaftlicher und sozialer Unterschied. Die Ost-West-Lücke hat sich noch nicht geschlossen.

Die Bundesregierung erstellt jedes Jahr zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober einen Bericht: Demnach beträgt die Wirtschaftsleistung im Osten je Einwohner im Schnitt 73 Prozent im Vergleich zum Westen. Die Arbeitslosenquote ist höher, der Bruttodurchschnittslohn geringer. Die Bevölkerungsdichte ist niedriger und der Ausländeranteil im Osten ebenso. Bei der Lebenserwartung gibt es Unterschiede, beim Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes, bei der Belegung von Kindertagesstätten, und, und, und. Man könnte ewig so weitermachen. Hoffentlich nicht noch einmal 27 Jahre.

Es gibt das Gefühl des Abgehängtseins im Osten. Es gibt die Attitüde der Überheblichkeit im Westen. Wo, wenn nicht bei jungen Menschen, kann man da eine - innere - Wende schaffen? Demokratie müsse täglich gelernt und gelebt werden, begründet der Chef der Kultusminister seine Initiative. Gerade Schüler spielen dabei eine große Rolle. Verständnis für kulturelle Werte, Ängste oder andere soziale Umfelder könnte bei dieser Form des Schüleraustauschs herauskommen. Nicht unbedingt die Sprache steht dann an erster Stelle. Wobei allerdings auch Sächsisch oder Fränkisch ziemlich fremdartig klingen können.

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