Süddeutsche Zeitung

Zwiesel:Diese Frau könnte Deutschlands erste transsexuelle Bürgermeisterin werden

Lesezeit: 5 min

Von Andreas Glas, Zwiesel

Wenn Franz Xaver Steininger aus dem Fenster schaut, dann hat er einen guten Blick auf das Problem seiner Stadt. Dort unten, auf dem Stadtplatz, reiht sich Laden an Laden, aber etliche Schaufenster sind zugeklebt mit Zeitungspapier, das noch dazu vergilbt ist, weil die Zeitung nicht von gestern ist, sondern vom vergangenen Jahr. Bürgermeister Steininger hat den Ruf eines Arbeitstiers, in dessen Büro spätabends noch Licht brennt, während es draußen düster ist, weil die Stadt jede zweite Straßenlaterne abgeschaltet hat, um Geld zu sparen und Schulden zu drücken. Im klammen Zwiesel gehen die Lichter aus, treffende Symbolik, oder, Herr Bürgermeister? Nein, sagt Steininger, "das Gesamtprojekt Zwiesel ist in der Projektfertigstellung. Man sieht es nur noch nicht."

Franz Xaver Steininger ist gelernter Bauingenieur, die Ingenieursprache hat er nie ganz abgelegt, auch nicht, nachdem ihn die Zwieseler vor fünfeinhalb Jahren zum Bürgermeister gewählt haben. Steininger, 50, parteilos, randlose Brille, silbergrauer Stoppelbart, legt ein Prospekt auf den Besprechungstisch. Der Titel: "City-Outlet". Normalerweise entstehen solche künstlichen Einkaufsdörfer am Stadtrand, wie in Ingolstadt oder in Wertheim bei Würzburg. Steininger dagegen will mitten in Zwiesel ein Fabrikverkaufszentrum aufbauen, mit Shops links und recht des Stadtplatzes. Das Projekt ist sein Baby, im neuen Jahr sollen die ersten Läden einziehen. Der Leerstand hat bald ein Ende, da ist sich Steininger sicher. Nicht mehr lange, sagt er, "dann wird es in Zwiesel einen Big Bang geben", einen Urknall.

Der Bürgermeister hat einen Plan. Nur kann es halt sein, dass ihm ein anderer Big Bang einen Strich durch den Plan macht. Ein Knall, der in der ganzen Republik zu hören wäre. Dann nämlich, wenn Gloria Gray am Sonntag zur neuen Zwieseler Bürgermeisterin gewählt werden sollte - und damit zur ersten transsexuellen Bürgermeisterin Deutschlands. Ein paar Kamerateams waren schon da, sie rücken aus allen Ecken des Landes an, um über die schillernde Kandidatin zu berichten. "Diese PR-Aufmerksamkeit kann man nicht mit Geld bezahlen", sagt Steininger, der sein Amt gegen Gloria Gray verteidigen möchte. Aber ist das wirklich möglich? Eine transsexuelle Bürgermeisterin im Bayerwald, wo der politische Boden traditionell tiefschwarz geteert ist? "Ich glaube, dass sie wesentlich mehr Zuspruch hat, als man anfangs dachte. Weil sie ein gutes Auftreten hat", sagt selbst ihr Konkurrent Steininger.

Am Abend zuvor, im Zwieseler Bräustüberl. Es ist Wahlkampfendspurt und Gloria Gray, 50, hat zum Bürgerstammtisch geladen. Sie steht im Gastraum, tadellos geschminkt, eine groß gewachsene Frau auf Absätzen, so hoch, dass ihr Kopf beinahe die hölzernen Deckenbalken berührt. Sie will aber keine sein, die Wahlkampf von oben herab macht, sie werde gleich "von Tisch zu Tisch gehen", sagt sie zu Beginn des Abends. Sie wolle den Bürgerkontakt "eins zu eins, ohne Netz und doppelten Boden". Auch Gloria Gray hat ihre Sprache nicht abgelegt. Sie ist eben Bühnenkünstlerin, ist in den großen Varieté-Theatern der Welt aufgetreten, in Hollywood, am Broadway. Meistens als Pin-up-Girl, als singende Sex-Bombe in hochhackigen Lackstiefeln, mit Lederkorsett und gewaltigem Dekolleté. Bis sie vor sechs Jahren in ihre Heimatstadt Zwiesel zurückkehrte, um ihre kranken Eltern zu pflegen. Die Eltern sind mittlerweile gestorben, doch Gloria Gray ist gekommen, um zu bleiben. Am liebsten als Bürgermeisterin.

"Mit der Gloria rührt sich endlich mal was in Zwiesel"

Es ist kurz nach acht, der Gastraum ist bummvoll. Ein älterer, gut durchbluteter Herr mit Weißbierbauch und Trachtenjanker erzählt, dass er 120 Kilometer hergefahren sei, nur um "diese schöne Frau" in echt zu sehen. Er sei eigentlich "ein Bayernparteiler", sagt er, aber von der parteilosen Gloria Gray ist er sehr angetan: "Zwiesel braucht eine Prinzessin. Ich würde ihr am liebsten gleich hier ein Krönchen aufsetzen, aber dafür müsste ich mich ja auf einen Stuhl stellen." Am selben Tisch sitzt Karin Köck, 62. Sie kennt Gloria Gray von früher, als sie noch ein Bub war und gehänselt wurde, bis sie als 18-Jährige nach München abhaute, wo sie ihr Geschlecht angleichen ließ und mit 26 Jahren zur Frau wurde. Heute reden die meisten Zwieseler mit Respekt über Gloria Gray. "Sie fasziniert mich", weil sie sich trotz aller Widerstände durchgesetzt und Karriere gemacht habe, sagt Karin Köck. Ihr Mann sagt dagegen, dass es "einen brutalen Spalt" in Zwiesel gebe, seit Gloria Grays Kandidatur feststehe. Für die einen, sagt Josef Köck, wäre es "der Untergang" der Stadt, wenn Gloria Gray gewählt würde, während "die anderen sagen: Mit der Gloria rührt sich endlich mal was in Zwiesel".

Wer wissen will, ob Gloria Gray eine Chance hat, geht also am besten dort hin, wo sich eher wenig rührt: in den Zwieseler Stadtkern, in die Metzgerei Krieger zum Beispiel. Klar sei die Wahl hier Stadtgespräch, sagt die Verkäuferin, die in einer roten Schürze hinter der Auslage mit dem Presssack und dem Leberkäs steht. "Ich glaube schon, dass sie eine Chance hat", sagt die Verkäuferin über Gloria Gray, "weil sie recht gut reden kann und das überzeugt die Leute". Ähnlich klingt das am Stadtplatz, im Tabakladen. Susanne Kuhndorfer, 48, steht vor einer Wand aus Zigarettenschachteln und sagt: "Ich kann mir schon vorstellen, dass viele Leute die Gloria wählen. Als Trotzreaktion."

Der Gegenentwurf zu den Etablierten

Der Trotz, den sie meint, hat mit der dicken Luft im Zwieseler Rathaus zu tun. Auf der einen Seite Bürgermeister Steininger, der findet, dass es im Stadtrat zu viele Leute "mit Parteirucksäcken" gibt, die seine Ideen blockieren. Auf der anderen Seite etliche Stadträte, die dem Bürgermeister vorwerfen, er sei zu stur für Kompromisse. Die Zwiesler nervt dieser Streit, der eine Chance für die politische Quereinsteigerin Gloria Gray sein könnte, die sich als Gegenentwurf inszeniert zu den Etablierten, die mit ihrem Streit die Stadt lähmen und "denen es in erster Linie um Macht geht". Ob die parteilose Künstlerin den Stadtrat befrieden könnte? Nein, sagt Bürgermeister Steininger, denn viele Stadträte "würden sich mit ihr genauso wenig abfinden wie sie sich mit mir abgefunden haben". Er dagegen habe die Kämpfe bereits geführt, die Gloria Gray erst noch führen müsste. Und inzwischen, sagt er, gehe es im Stadtrat schon viel harmonischer zu als am Anfang seiner Amtszeit.

Im Stadtrat sitzt auch Elisabeth Pfeffer, 49, die dritte Bewerberin um das Bürgermeisteramt. Es passt ins Bild, dass die CSU-Kandidatin den Leerstand in Zwiesel für ihren Wahlkampf nutzt. Am Stadtplatz, im leeren Schaufenster eines früheren Kaufhauses, hat sie mehrere Plakate mit ihrem Wahlprogramm ausgehängt. Zum Gespräch aber bittet Pfeffer in die Stube der Dampfbierbrauerei, deren Chefin sie ist. Es riecht malzig, während sie über die Probleme ihrer Stadt spricht. Über den Leerstand eben, die sinkenden Einwohnerzahlen und über die Zahl der Touristen, die zuletzt etwas gestiegen ist, auf etwa 300 000 Übernachtungen im Jahr. Andererseits waren es vor 15 Jahren noch 450 000.

Gray will Zwiesel wieder richtig zum Glänzen bringen

Zwiesel brauche "wieder ein positives Image", sagt Pfeffer. Ein City-Outlet sei der falsche Weg, um Touristen und überhaupt mehr Menschen anzulocken. Sie schlägt einen "Handwerkerhof" am Stadtplatz vor, will Künstler und Handwerker in die leer stehenden Läden holen. Das passe besser zur Glasstadt Zwiesel als "ein austauschbarer Laden neben dem anderen". Ein ähnliches Konzept hat auch Gloria Gray vorgeschlagen, die in den vergangenen Jahren in Zwiesel mehr als 100 Kunst- und Kulturveranstaltungen organisiert und so wieder etwas Glanz in die Stadt gebracht hat. Als Bürgermeisterin, verspricht Gray, werde sie Zwiesel aber erst so richtig zum Glänzen bringen.

Über die Wahl am Sonntag sagt CSU-Kandidatin Pfeffer, man dürfe "vor keiner Überraschung gefeit" sein. Und was sagt Gloria Gray? Dass sie im Wahlkampf "kein einziges Mal" wegen ihrer sexuellen Identität angefeindet worden sei, "nicht mal im Internet, damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe ein sehr gutes Gefühl."

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Quelle:
SZ vom 26.11.2016
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