Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Gschnecklerte Engerl am Prangertag

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Nur wenige wissen, was Fronleichnam bedeutet (Leib des Herrn). Weil alles prunkt und prangt, wird dieser Feiertag von manchen immer noch Prangertag genannt. Wer dieses Wort kennt, wird auch mit dem Schusser etwas anfangen können.

Kolumne von Hans Kratzer

Prangertag

Auf der Suche nach einem gemeinsamen Recherchetermin hat ein Kollege neulich geschrieben: "Von mir aus auch am Prangatag!" Das war irgendwie herzerwärmend, denn in der Kaste der Redakteure und Schreiberlinge sind altehrwürdige Wörter wie Prangertag (Synonym für Fronleichnam) kaum noch zu hören. Auf dem Land ist das Wort aber durchaus noch lebendig. "Wer das katholische Bayern in seinem Kern ergründen will, der kommt nicht umhin, bei einer Fronleichnamsprozession mitzumarschieren", schrieb einmal der Kabarettist Bruno Jonas. Es ist tatsächlich eine eindrucksvolle Pracht, die dem Auge da geboten wird: die mit Blumen geschmückten Altäre und Figuren, die mit Birken gesäumten Straßen, die mit roten Tüchern verzierten Häuser. Das althochdeutsche Wörtlein "fro" (Herr) führt zur Bedeutung von Fronleichnam: "Leib des Herrn". Weil das aber nicht jeder so genau weiß, sagt man auf dem Land lieber Prangertag oder Prangdog. Vielleicht, weil das Allerheiligste zur Schau (Pranger) gestellt wird. Vielleicht aber auch, weil an diesem Tag alles prangt: bis hin zu den festlich gekleideten Prozessionsteilnehmern. Früher richteten sich die Mädchen am Prangertag noch her wie für ihre Hochzeit. Sie sprengten sich Bier in die Haare, damit diese recht schön geschnecklert wurden. Wenn dann die Zöpferl durchgekämmt wurden, schauten manche direkt aus wie kleine Engerl.

Schusser

In der SZ war soeben eine Geschichte über den Staatsanwalt Jakob Schmidkonz zu lesen. Als es einmal um eine Mietminderung wegen eines angeblich schiefen Bodens ging, packte Schmidkonz beim Ortstermin "die Gerichtsmurmel, vulgo: Schusser" aus, wie es im Artikel hieß. Er stellte die Kugel behutsam auf den Boden, und da blieb sie auch stehen, ohne zu rollen. Die Klage wegen des mutmaßlich hängenden Bodens wurde noch vor Ort abgewiesen. Das Wort Schusser ist von der Murmel verdrängt worden. Bei älteren Menschen weckt der Schusser gewiss Erinnerungen an die Kindheit, in der sie ein kleines Loch gruben und danach versuchten, die bunten Glas- und Tonkugeln hinein zu schussern. In zubetonierten Landschaften ist es unmöglich, Schusserbahnen zu bauen. In Franken nennt man die Schusser Märbel. Dies rührt daher, dass die Kugeln früher aus Marmor hergestellt wurden und verschiedenen Zwecken dienten, manchmal sogar als Kanonenkugeln. Aber populär waren die Schusser vor allem als Spielgeräte. In Altbayern sagte man auch Arwa.

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