Süddeutsche Zeitung

Vorwurf der Geschichtsklitterung:Mietvertrag gekündigt

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Ingolstadt schließt umstrittenen Verein aus VHS-Räumen aus

Von Johann Osel, Ingolstadt

Eine an diesem Wochenende geplante Tagung der umstrittenen Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) kann nicht stattfinden. Der Verein, der mit seinen Thesen im Ruch der Geschichtsklitterung steht, trifft sich meist zwei Mal im Jahr in Räumen der Volkshochschule. Die Stadt hatte dies trotz Gegenprotesten bis dato gestattet und auf den Mietvertrag verwiesen. Damit ist jetzt Schluss: Man habe den Kontrakt "aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung gekündigt", sagte ein Sprecher. Gemäß Vertragsbedingungen sei das möglich, wenn eine Veranstaltung "verfassungswidriges oder gesetzeswidriges Gedankengut" fördere. Konkret habe kürzlich eine Stellungnahme des Verfassungsschutzes bestätigt, dass bei den Treffen in rechtsextremistischen Zusammenhängen bekannte Redner auftraten. Vom Verein publizierte Texte enthielten zudem "antisemitische beziehungsweise die NS-Zeit verherrlichende Inhalte".

Vereinsvorsitzender Gernot Facius, ein mindestens rechtskonservativer Publizist und Kirchenexperte aus dem Rheinland, rügte, die Stadt habe aus "offenbar politischen Gründen" die Nutzung des Saals verweigert. Sie habe dem "beharrlichen Drängen einer Koalition diverser linksorientierter, zum Teil auch linksradikaler Gruppen" nachgegeben. Rechtsextreme Tendenzen bei der ZFI wertete Facius als "Unterstellung". Gründer des Vereins war 1981 der Historiker und Autor Alfred Schickel, 2015 im Kreis Eichstätt gestorben. Der Nachruf im Wochenblatt Junge Freiheit war getitelt mit "Unbeirrt von linken Skandalisierungen"; gelobt wurde Schickel darin etwa für eine "spektakuläre Studie" zur angeblich zu hoch angesetzten Zahl polnischer Kriegstoter. Schickel kooperierte mit rechtsradikalen Verlagen und tauchte in den Neunzigern im Verfassungsschutzbericht auf. Das Innenministerium verwies später auf die Resonanz der ZFI in "einschlägig rechtsextremistischen Publikationen", verneinte aber die offizielle Beobachtung. Die Rede war von einer "Grauzone zum Revisionismus", Bewertungen in Verfassungsschutzkreisen blieben ebenfalls schwammig. Wie oft in dem Lager mischt sich bei der ZFI noch Bürgerliches mit klaren Grenzüberschreitungen. Üblich bei Tagungen sind vor allem die Relativierung der Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg und der Versuch, den Überfall auf die Sowjetunion als Präventivkrieg zu deuten.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hatte die Stadt Ingolstadt selbst beim Verfassungsschutz um eine klare Einordnung angefragt. Zuvor gab es einen Hinweis der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus. Die Stellungnahme ergibt laut Stadt "hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung". Kritiker hatten zuletzt auch empört auf das Datum der Tagung verwiesen: den 9. November, Jahrestag der Reichspogromnacht. Die Linken-Politikerin Eva Bulling-Schröter vom Bündnis "Ingolstadt ist bunt" führt das Umdenken der Stadt auf den Protest zurück. Eine Demonstration soll am Samstag dennoch stattfinden. Die ZFI will ihr Treffen später in einem anderen Tagungsraum nachholen, man suche eine Lokalität.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2019
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