Süddeutsche Zeitung

Verfahren dauern zu lange:Bayerns Justiz muss 25 Verdächtige aus U-Haft entlassen

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Weil zu viel Zeit verging zwischen der Inhaftierung und dem Prozessbeginn, kamen in den vergangenen zwei Jahren mutmaßliche Straftäter aus dem Gefängnis frei. Das Problem: Personalmangel in der Justiz.

Aus Bayerns Gefängnissen haben in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 25 Verdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil ihre Verfahren zu lange dauerten. Das teilte das bayerische Justizministerium mit. Hintergrund der Fälle von Haftentlassungen ist das Beschleunigungsgebot in Haftsachen. Dieses Gebot besagt, dass die Justiz alles tun muss, um das Hauptverfahren möglichst schnell zu beginnen.

Die gesetzliche Dauer für eine Untersuchungshaft betrage maximal sechs Monate von der Inhaftierung bis zum Urteil. In Ausnahmefällen könne die Frist auch verlängert werden, sagte ein Ministeriumssprecher.

Verbringt ein Verdächtiger oder dann auch Beschuldigter viel mehr Zeit in der Untersuchungshaft, muss er entlassen werden - egal was ihm vorgeworfen wird. "Das kann alles sein", sagte der Ministeriumssprecher. Im konkreten Fall der 25 entlassenen Verdächtigen konnte er keine Angaben darüber machen, was ihnen vorgeworfen wurde. Es könnte theoretisch auch ein Mord sein.

Das Verfahren geht dennoch weiter

Die Anklage hat sich freilich nicht erledigt, wenn ein Verdächtiger aus der U-Haft freikommt. Er muss sich dennoch dem Verfahren stellen, nur eben nicht im Gefängnis darauf warten. Im schlimmsten Fall könnte sich jemand absetzen.

Anfang der Woche hatte der Deutsche Richterbund (DRB) in der Deutschen Richterzeitung bundesweite Zahlen veröffentlicht: 2021 wurden demnach in Deutschland mindestens 66 Tatverdächtige aus dem Grund aus der U-Haft entlassen, 2020 seien es 40 solcher Entlassungen gewesen und 2019 mit 69 sogar noch etwas mehr als 2021. Das bayerische Justizministerium meldete für das Vor-Corona-Jahr 2019 nur zwei solcher Fälle. 2018 lag mit zehn aber auch schon auf dem Niveau des ersten Corona-Jahres.

Ob diese Zahlen in Zusammenhang mit der Pandemie stehen, sei nicht ersichtlich, sagte der Ministeriumssprecher. Die individuellen Gründe für die Entlassungen würden nicht erfasst.

Klar ist aber, dass die Justiz in Bayern seit Jahren über Personalmangel klagt - obwohl Jahr für Jahr neue Stellen geschaffen werden. Doch die Arbeitsbelastung steigt, auch wegen neuer Themenfelder: Cybercrime, Hate Speech, Massenklagen, all das beschäftigt Richter und Staatsanwälte immer mehr.

110 Richterstellen fehlen in Bayern

"Die aktuellen Fälle von U-Haftentlassungen werfen erneut ein Schlaglicht auf die hohe Arbeitsbelastung vieler Gerichte und Staatsanwaltschaften", sagte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. "Es fehlt der Strafjustiz nach wie vor deutlich an Staatsanwälten und Strafrichtern, sodass sie selbst vorrangige Haftsachen nicht immer mit der rechtsstaatlich gebotenen Beschleunigung erledigen kann."

In Bayern fehlten nach Angaben des Justizministeriums zum Stichtag 31. Dezember 2021 Dutzende Richter und Staatsanwälte. Es gebe einen zusätzlichen Bedarf von rund 110 Richterstellen sowie 169 Stellen für Staatsanwälte. Ist das nicht der Fall, kann eine Entlassung aus der U-Haft die Folge sein.

"Das Staatsministerium der Justiz nimmt das Thema ,Beschleunigungsgebot in Haftsachen' sehr ernst", teilte ein Sprecher des Ministeriums mit. Das Thema sei "im Juli für eine Dienstbesprechung vorgesehen".

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